Wer Boeses saet
sie ermordet wurde. Die letzte irritierende Tatsache war, dass Nataschas Telefon automatisch auf einen Anrufbeantworter umgeleitet wurde.
Julia setzte sich auf.
»Ich kann dir nicht mehr ganz folgen. Glaubst du jetzt etwa, der Mörder ist eine Frau?«
Der Profiler antwortete entschieden:
»Nein. Ich habe meine Meinung nicht geändert. Aber ich glaube, dass Natascha bei dem, was vorgefallen ist, irgendeine Rolle gespielt hat.«
»Eine Komplizin?«
»Vielleicht … Sie ist mindestens fünfunddreißig Jahre alt, hat ein hohes intellektuelles Niveau und viel Empathie. Und Justine vertraute ihr. Sie hätte es unserem Mann ermöglichen können, sich ihr zu nähern.«
»Das Höllenpaar …«
»So etwas in der Art, ja.«
Die Theorie hatte Hand und Fuß. Die jungen Leute hatten sich jedes Mal bereitwillig dem Wolf zum Fraß vorgeworfen. Angesichts ihrer psychischen Verfassung wäre es für einen geschulten Psychologen ein Leichtes gewesen, sie zu manipulieren und sie in aller Ruhe in die Falle zu locken.
Julia wechselte das Handy zum anderen Ohr.
»Jetzt müssen wir nur noch die Frau suchen, die dahintersteckt, beziehungsweise, wir müssen sie finden …«
»Ich werde schon mal bei der Telefongesellschaft und beim Internetprovider nachforschen. Man weiß ja nie.«
»Vergeude nicht deine Zeit. Sie hat bestimmt die nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wenn wir sie uns schnappen wollen, dann müssen wir Kontakt zu ihr bekommen.«
»Es gibt in ganz Frankreich bestimmt mehrere Tausend praktizierende Psychotherapeuten. Ganz zu schweigen von den selbsternannten Gurus, die in der Peripherie des Systems tätig sind. Da bräuchten wir Jahre!«
»Nicht unbedingt …«
Sie hielt kurz inne und erläuterte ihm dann ihre Theorie.
»Keine Ahnung, ob das etwas taugt, aber ich denke folgendermaßen darüber: Wenn wir davon ausgehen, dass deine These stimmt, dann ist Natascha so eine Art Pilotfisch. Sie hat Justine geködert und gefangen, und das hat sie vielleicht auch mit all den anderen gemacht. Jedenfalls würde das passen.«
»Erzähl weiter.«
»Sie ist mit jungen Leuten in Kontakt getreten, die weit entfernt voneinander wohnen. Das heißt, sie reist viel herum. Auf den Punkt müssen wir uns konzentrieren.«
Schweigen am anderen Ende. François wollte mehr hören. Julia spann den Gedanken noch ein wenig weiter:
»Was ist der gemeinsame Nenner zwischen den Opfern? Was hat sie zusammengeführt?«
»Sie sind alle gleich alt und leiden unter großen Problemen, sonst sehe ich da nichts.«
»Das ist schon mal ein Anfang. Irgendwann haben sie Hilfe gebraucht, und die konnten sie auf die übliche Weise nicht bekommen oder haben es gar nicht erst versucht.«
»Du meinst, sie sind lieber zu Scharlatanen gegangen?«
»Jedenfalls streiche ich mal alle von der Liste, die am Hauseingang ein Kupferschild haben.«
»Das macht es nicht einfacher.«
»Ja und nein. Wenn man die Psychofritzen und Coaches herausnimmt, und dann noch alle, deren Bezeichnung auf »path« endet, was bleibt dann übrig?«
»Schamanen, Marabuts, Sekten … Worauf willst du hinaus?«
Die junge Frau wusste es selbst nicht. Sie stieg aus dem Bett und ging in der Unterhose im Zimmer auf und ab.
»Ich bin noch auf der Suche. Und du bist mir keine große Hilfe.«
»Tut mir leid. Aber bei einem so breit gefächerten Angebot müsste man schon hellseherische Fähigkeiten haben.«
François’ Antwort traf sie wie ein Schlag.
»Eine Hellseherin!«
»Wie bitte?«
»Natascha ist eine Hellseherin!«
»Das meinst du jetzt nicht ernst, oder?«
»Sie kann die Zukunft vorhersagen, findet gute Erklärungen für die Vergangenheit. Mit anderen Worten: Sie ist ein Mensch, der dich beruhigen kann. Und das alles in ein oder zwei Sitzungen. Das ist besser als ein Psychotherapeut!«
»Hellseherinnen haben heutzutage eine ›Praxis‹. Sie sind angesehen, ihr Geschäft floriert, und sie zahlen Steuern.«
»Nicht alle. Viele arbeiten nur in Salons und auf Jahrmärkten. Allen voran die Zigeunerinnen. Und der Name Natascha hat einen solchen Hintergrund.«
»Woher weißt du das alles?«
»In den Jahren, als es mir so dreckig ging, habe ich mal eine kennengelernt. Sie hieß Mariska.«
Wieder schwieg François. Julia spürte, dass sie ihn überzeugt hatte. Sie erläuterte ihm ihren Plan:
»Wir müssen herausbekommen, ob in den Städten, in denen die Morde begangen wurden, Esoterikmessen veranstaltet werden. Vielleicht hat Natascha ja an einer davon
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