Wer Braucht Schon Eine Gucci-Tasche
später stand ich in Chelsea vor der Studiotür und fragte mich, ob drei Vicodin nicht vielleicht doch besser gewesen wären.
Kapitel 4
Stille senkte sich über das Studio, in dem normalerweise hektische Betriebsamkeit herrschte. Zögernd stand ich auf der Schwelle und konnte nur staunen, wie schnell die Buschtrommeln eine Nachricht verbreiteten. Andererseits waren wir hier in Manhattan. Clinton Halderman ergriff als Erster das Wort.
»Du siehst fürchterlich aus.«
Clinton und ich hatten uns vor Jahren bei der Eröffnung seines ersten Restaurants in Manhattan kennengelernt. Ich hatte damals eine Reportage über neue Küchenchefs gemacht und um ein Interview gebeten. Unser Gespräch hatte sich bis tief in die Nacht gezogen, und bei mehreren Flaschen Wein, einem köstlichen Risotto und der besten Crème brûlée meines ganzen Lebens hatte ich nicht nur genug Material für eine tolle Story gesammelt, sondern auch einen neuen Freund und Ratgeber für kulinarische Fragen gefunden. Als ich irgendwann beschloss, es mit einer eigenen Sendung im Fernsehen zu versuchen, lag es auf der Hand, dass ich Clinton um Rat fragte.
Prompt hatte Clinton eine Besonderheit meiner Rubrik im Frühstücksfernsehen entdeckt, sie aufgegriffen und aufgepeppt. Das Ergebnis war Was kocht in der Stadt? Obwohl er offiziell als Consultant auf meiner Gehaltsliste stand, war er in Wahrheit das Herzstück der Sendung und an sämtlichen Produktionsschritten beteiligt.
»Danke für die charmante Begrüßung«, sagte ich und rang mir ein Lächeln ab. »Wenn es dir hilft – es sieht schlimmer aus, als es sich anfühlt. Aber du scheinst gar nicht überrascht zu sein. Wie hast du es herausgefunden?«
»Du stehst in der Post von heute Morgen. Genuss-Königin stürzt in den Abgrund der Verzweiflung. Seite sechs. Zum Glück gab es nicht auch noch Fotos dazu.«
»O Gott«, stöhnte ich. »An die Zeitungen habe ich noch gar nicht gedacht. Was steht sonst noch da?«
»Eigentlich nur, dass du wegen Dillons Abtrünnigkeit deinen Kummer in Champagner ertränkt hast und am Ende in den Vorratskeller eines Gemüseladens gefallen bist.«
»Ich habe meinen Kummer nicht ertränkt«, widersprach ich und schüttelte den Kopf. »Es war ein Unfall. Ich war durcheinander.«
»Durchaus nachvollziehbar.« Clinton war die Loyalität in Person. »Aber morgen ist die Schlagzeile sowieso längst Schnee von gestern. Und Margaret bekommt dein Gesicht bestimmt prima hin.« Margaret war die Maskenbildnerin des Senders. »Es ist alles vorbereitet. Wir haben nur auf dich gewartet.«
»Wo ist Cassie?«
Wenn Clinton meine rechte Hand war, diente Cassandra Harper als meine linke. Cassie galt als großes Talent und legte mit meiner Sendung den Grundstock für eine Karriere als erstklassige Producerin. Ihre Liebe fürs Essen und Trinken hatte uns zusammengeführt, und dank einer Vielzahl an Gemeinsamkeiten waren wir enge Freundinnen geworden. Als Clinton ihr die Idee für die Sendung unterbreitet hatte, war ihr auf der Stelle das Potenzial ins Auge gesprungen, und zum Glück für mich hatte sie ausreichend Einfluss, um etwas auf die Beine stellen zu können. Drei nervenzerfetzende Meetings später hatte sie die Leitung des Senders überzeugt, dass Amerika sich sehr wohl ein wenig pikanten Klatsch zur liebevoll zubereiteten Bouillabaisse wünschte, und einen Monat später war Was kocht in der Stadt? auf Sendung gegangen.
»Sie ist oben in einem Meeting. Die Oberbosse aus Dallas sind eingeflogen.«
Der Gourmet Channel, Teil der in Texas ansässigen Vision Quest, war fünf Jahre zuvor aus der Taufe gehoben worden und anfangs darauf ausgerichtet gewesen, in der aufkommenden »Kochen als Fernsehunterhaltung«-Sparte gegen etablierte Sender wie Food Network (die praktischerweise über dem Chelsea Market residierten) und den in Kalifornien beheimateten Bravo (mit ihrem Erfolgsformat Top Chef ) anzutreten.
Die ursprüngliche Idee für den Gourmet Channel stammte aus der Feder des künstlerischen Leiters und Vision-Quest-Vorstandsmitglieds Tim Grubbin, der auch für POW ! (ein Superhelden-Kanal, der sämtliche Quotenrekorde brach) und Two Hankies (ein Romantiksender für Frauen, der gegen Lifetime, Oxygen and WE antrat und, wie der Name verhieß, auf erhöhten Papiertaschentuchkonsum ausgerichtet war) verantwortlich zeichnete. Gourmet Channel, das jüngste Baby des Senders, sollte Spitzenküche mit einer Prise Glitzer und Glamour servieren.
»Wusste ich etwas von diesem Meeting?«,
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