Wer Braucht Schon Eine Gucci-Tasche
gehört, deine Mutter könnte auftauchen.«
Da haben Sie’s. Die Chance, meine Mutter zu sehen, war wichtiger als alles, was ich ihr bieten könnte. Einen Moment lang fragte ich mich, ob Althea sich ebenfalls so von ihr zurückgesetzt fühlte. Wie die daheimgebliebene Tochter, die hinter der verlorenen zurückstand.
Ich schüttelte den Kopf und schob diese seltsamen Gedanken entschlossen beiseite. Mitleid mit Althea war so ziemlich das Letzte, was ich empfinden wollte.
»Dir ist klar, dass sie wahrscheinlich nicht auftauchen wird«, sagte ich.
»Macht sie das häufiger?«, fragte Clinton mit unübersehbarem Interesse an unserer schmutzigen Wäsche.
»Sobald ich in der Nähe bin, bleibt Melina meistens in der Versenkung«, sagte Harriet resigniert. »Obwohl ich nie verstanden habe, warum. Schließlich war ich nicht diejenige, die sie aus dem Haus getrieben hat. Obwohl ich mich wahrscheinlich auf Altheas Seite geschlagen hätte, wenn es hart auf hart gekommen wäre.« Dies war eindeutig ein Tag für Überraschungen. Harriet ergriff normalerweise nie Partei für Althea.
»Was meinst du damit?«, hakte ich nach.
»Eigentlich nichts.« Sie zuckte die Achseln. »Alles Schnee von gestern. Melina hat sich für ihr Leben entschieden und ich mich für meines.«
»Also sehen Sie sich in Wahrheit gar nie?«, fragte Clinton.
»Oh, ein- oder zweimal im Jahr kreuzen sich unsere Wege«, räumte Harriet ein. »Aber nie für lange. Wie ich selbst hält auch Melina es nie länger irgendwo aus.«
»Wenigstens hast du sie gesehen«, sagte ich, unfähig, den wehmütigen Tonfall zu unterdrücken. »Ich höre überhaupt nie von ihr.«
»Sie schickt dir doch Karten«, wandte meine Großmutter ein. »Und Geschenke.«
»Wenn sie zufällig daran denkt, aber das ist nicht dasselbe.« Dabei hatte ich mich über alles gefreut, was ich von ihr bekommen hatte. Und die Postkarten hob ich in einer Schachtel unter meinem Bett auf. Auch wenn es kindisch war. Geradezu albern, wenn man bedachte, dass nie etwas anderes darauf stand als »Alles Liebe, Mutter«. Ich klammerte mich an eine Handvoll rührseliger Gefühlsduseleien aus der Feder eines Hallmark-Texters, den ich noch nicht einmal persönlich kannte.
»Wenigstens beweist das, dass sie an dich denkt«, erklärte Harriet. »Sie gehört eben nur nicht zu denen, die es zeigen.«
»Früher schon«, widersprach ich. »Ich erinnere mich an sie aus der Zeit, bevor Althea sie aus dem Haus getrieben hat. Sie war eine gute Mutter.«
»Das Gedächtnis ist subjektiv, Andi. Wir alle sehen nur das, was wir sehen wollen.« Sie lehnte sich zurück, als der Kellner ihren Martini servierte. »Aber genug von Melina.«
»Meine Schuld«, erklärte Clinton entschuldigend. »Ich habe damit angefangen. Ich fürchte, die Neugier hat mich gepackt.«
»Verständlich«, sagte Harriet lächelnd. »Unsere Familie ist auch etwas ungewöhnlich.«
»Glauben Sie mir«, erwiderte Clinton lachend, »im Vergleich zu meiner eigenen ist das gar nichts. Und ich kann sehr gut verstehen, wenn jemand den Drang verspürt, wegzugehen.«
Ich ebenfalls. Nur dass wir im Moment von dem Drang redeten, von mir wegzugehen. Was kein allzu angenehmer Gedanke war.
»Es ging doch nie um dich, Andi«, sagte meine Großmutter, die offenbar meine Gedanken gelesen hatte. »Das muss dir klar sein.«
»Ist es wohl auch. Trotzdem bin ich diejenige, die unter den Folgen zu leiden hat. Aber du hast recht, das ist Schnee von gestern. Bestimmt fällt uns ein besseres Gesprächsthema ein.«
»Hat sich etwas Neues wegen deiner Sendung ergeben?« Harriet lächelte mich voller Wärme an, worauf ich mich augenblicklich besser fühlte. Meine Familie mochte ein bisschen abgedreht sein, aber auf ihre eigene Art liebten sie mich. »Soweit ich verstanden habe, bist du doch wieder an Philip DuBois dran?«
»Sieht ganz danach aus«, antwortete ich. »Cassie klärt in diesem Moment die letzten Details. Obwohl ich zugeben muss, dass ich kaum eine ruhige Minute haben werde, bis wir endlich vor diesem Mann stehen.«
»Offenbar neigt er dazu, seine Meinung zu ändern«, bemerkte sie.
»Oder sie ändern zu lassen«, warf Clinton stirnrunzelnd ein.
»Damit wären wir wieder bei Diana.«
»Leider«, seufzte ich. »Sie scheint neuerdings der Dreh- und Angelpunkt meines Lebens zu sein.«
»Kein sehr angenehmer Gedanke.« Clinton schauderte. »Wenigstens hat sie sich offenbar für den Augenblick in die Schlangengrube zurückgezogen, aus der sie gekommen
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