Wer braucht schon Liebe
Sonnenbrille.«
» Ja, aber normalerweise kann man deine Augen durchsehen. Du siehst aus wie ein Gangster.«
Er greift mit einer Hand zu der Brille. » Die Sonnenbrille bleibt.«
Er hievt sich aus dem Stuhl, verzieht das Gesicht, als er sich aufrichtet, und legt eine Hand auf seinen unteren Rücken.
Ich runzele die Stirn. » Hast du dich schon untersuchen lassen?«
Er sieht schuldbewusst drein. » Es dauert eine Weile, bis man einen Termin bekommt.«
» Hast du dir einen Termin geben lassen?«
» Steht auf meiner Liste.«
Ich sehe ihn böse an.
» Okay. Das Erste, was ich morgen früh mache. Versprochen.« Wie ein alter Mann schleppt er sich zur Kücheninsel. » Also, was hättest du gern zum Abendessen?«
» Hol Barbara zurück. Im Ernst, schau dich doch mal an. Du kannst dich ja nicht mal bücken.«
Er hält sich an der Theke fest, geht langsam in die Hocke, beugt die Knie, hält den Rücken gerade. » Voilà«, sagt er.
Ich schüttele den Kopf. Und gehe nach oben an meinen Computer. Es muss einen besseren Rat bei Rückenschmerzen geben als » in Bewegung bleiben«.
Am Morgen hat er sich immer noch nicht rasiert. Er sieht wirklich aus wie ein Grizzlybär.
Ich sage nichts. Esse nur den Haferbrei, den er mir unbedingt hat kochen wollen.
» Wie wäre es, wenn ich dich heute zur Arbeit fahre«, fragt er.
Ich sehe überrascht hoch. » Warum? Wir haben doch Mike.«
Er lässt sich auf den Stuhl gegenüber gleiten. » Wann habe ich dich zum letzten Mal irgendwohin gebracht? Ich bin dein Dad. Ich sollte dich herumkutschieren. Und darüber stöhnen.« Er lächelt.
» Was ist mit dem Album?«
» Was soll damit sein?«
» Solltest du nicht daran arbeiten?«
» Das Album wird schon fertig werden.« Er nimmt einen Löffel Haferbrei und hebt ihn den ganzen Weg zu seinem Mund, statt sich vorzubeugen.
Ungläubig sehe ich ihn an.
» Also, soll ich dich hinfahren?«, fragt er.
Ich zucke mit den Schultern. » Von mir aus.«
» Toll!«, sagt er, als hätte er es an die Spitze der Charts geschafft.
Als er ins Auto steigt, verzieht er das Gesicht.
» Das tut deinem Rücken nicht gut, oder?«, frage ich.
» Ehrliche Antwort?«
» Ehrliche Antwort.«
» Nein. Es ist furchtbar.« Er lacht in sich hinein.
» Ich hole Mike.«
» Nein. Jetzt bin ich schon mal drin. Mike soll dich abholen.« Sein Gesicht verzieht sich vor Schmerzen, als er auf die Kupplung tritt.
» Dad!«
» Mir geht es gut.«
» Okay, nur damit du Bescheid weißt«, warne ich ihn. » Die erste Frage, die ich dir stellen werde, wenn ich heimkomme, wird sich um die Untersuchungen drehen.«
» Okay, Boss.«
Louis liegt auf der Seite, sieht mich an.
» Du bist wunderschön, weißt du das?«
Ich drehe mich langsam um. » Das ist hoffentlich nicht dein Ernst.«
Er lacht. » Was? Darf ich dir denn kein Kompliment machen?«
» Nein.«
» Okay, dann bist du also megahässlich.«
» Schon besser.«
Er lacht.
29 Kleines behaartes Tier
Kaum zu glauben, wie schnell seine Haare wachsen. In seinem Bart kann ich jetzt vier Farben ausmachen: Rot, Grau, Braun und Schwarz. Das Ganze mit Flipflops, Jogginghose und Sonnenbrille. Ich bemühe mich, nett zu sein.
» Der Bart muss ab, Dad.«
» Das ist kein Bart.«
» Was ist es dann? Ein kleines behaartes Tier? Bärte sind zurzeit total out. Zumindest diese Art von Bart.«
Er sieht vom Gemüseschneiden auf. » Das ist kein Fashion Statement.«
» So viel steht fest.«
» Wenn überhaupt, dann ist es ein Anti-Fashion-Statement.«
» Okaaaaay«, sage ich. » Und das wäre ganz toll, wenn du nicht aussehen würdest wie Steve Carell in Evan Allmächtig. Im Ernst, mit den Flipflops. Es fehlt nur noch das Gewand.«
» Ein Gewand?«, sagt er, als wäre das eine geniale Idee.
» Okay. Verabschiede dich wenigstens von der Sonnenbrille. Wirklich, Dad. Du bist kein Rapper.«
Er lächelt. » Kann ein Mann nicht mal was Neues ausprobieren?«
» Die Flipflops sind neu. Die Haare im Gesicht sind neu. Lass wenigstens die Sonnenbrille weg, okay?«
Er lächelt nur.
» Okay. Wie du willst«, sage ich lässig. Ich beuge mich vor, um etwas von seinem Schneidebrett zu klauen. » Was kochst du da?«
» Chinesische Gemüsepfanne.«
» Soll ich dir helfen?«
Er gibt mir ein Messer, aber statt es zu nehmen, reiße ich ihm die Sonnenbrille herunter. » Siehst du, du brauchst keine …«, fange ich den Satz an, beende ihn aber nicht. Seine Augen sind rot. Richtig rot. Und verquollen. Als hätte er geweint. Was nicht
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