Wer fuerchtet sich vor Stephen King
nachdem sie einem Hinterhalt der Unholde entkommen sind, in den Befreiungskrieg, bei dem es so läuft wie bei der Raucherentwöhnung: Irgendwann muss man ja mal anfangen. In „Crouch End“ (1980) verschlägt es zwei amerikanische Touristen in einen Londoner Stadtteil, in dem sie von einem amorphen Monstrum aus Lovecrafts Cthulhu-Universum verfolgt werden. Während der Mann verschwunden bleibt, schlägt sich die Frau zu einer Polizeiwache durch. Auch ein Beamter, der sich daraufhin nach Crouch End wagt, wird nie wieder gesehen: eine dem Lovecraftschen Oevre nachempfundene Geschichte um den „unaussprechlichen Horror“ des klassischen amerikanischen Autors.
„Das fünfte Viertel“ (1972 unter dem Pseudonym John Swithen erschienen) ist die Mainstream-Geschichte einer kaltblütigen Rache mit Showdown unter Bankräubern inklusive gegenseitigen Verrats, Mord und vier Vierteln einer Schatzkarte; „Das Haus in der Maple Street“ (1993) vereinigt den klassisch bösen Stiefvater mit dem modernen Gespensterhaus, das sich hier als Raumschiff entpuppt und dazu beiträgt, dass die Welt für Mutti und ihre Kinder wieder in Ordnung kommt. Nichts wird erklärt, nichts bedarf einer Erklärung.
„Der Fall des Doktors“ (1987) wurde für eine Sammlung mit neuen Storys um Sherlock Holmes geschrieben und stellt eine klassische Locked-Room-Mystery um einen despotischen Familienvater dar, der Frau und Söhne terrorisiert und von ihnen getötet wird, als er sein Vermögen einem Katzenheim vererben will. Sie beruht auf den von Conan Doyle eingeführten Charakterisierungen und Erzählmustern und bemüht sich um eine möglichst große Nähe zum Vorbild, wenngleich King hier ein wichtiges Muster umkehrt: Watson hat das Rätsel schon gelöst, während Holmes ausnahmsweise noch im Dunkeln tappt. In „Umneys letzter Fall“ (1993) bietet nicht Doyles, sondern Raymond Chandlers Werk die Atmosphäre, die King gut nachempfindet. Aber die Story ist mehr als nur eine Hommage, wie sich herausstellt, als Privatschnüffler Umneys Welt zu seinem und des Lesers Unbehagen Stück für Stück auseinanderbricht. Schließlich sitzt Umney buchstäblich seinem Schöpfer gegenüber, dem Schriftsteller, der ihn erfunden hat, und sein letzter Fall nimmt eine Dimension an, die weit über das Genre des Privatdetektivromans hinausgeht und das Spiel mit der Realität hier um die Facette „literarische Schöpfung und Schöpfer“ bereichert.
„Kopf runter“ (1990) ist ein Tagebuch um Baseballspiele von Kings damals 12-jährigem Sohn Owen in der Junior League. Das Gedicht „August in Brooklyn“ will die Faszination eines Baseball-Spiels einfangen. „Der Bettler und der Diamant“ ist ein Dialog zwischen Gott und dem Erzengel Uriel über einen armen Bettler, der wahres Glück nur in sich selbst findet. Kings abschließende Anmerkungen zu den Geschichten enthalten zahlreiche Informationen über die einzelnen Beiträge, z.B., dass der Roman STARK anfangs als Bachman-Projekt geplant war.
ALPTRÄUME präsentiert also Geschichten aus 20 Jahren: Die älteste wurde etwa 1972 geschrieben, die neueste 1992. Die Sammlung enthält weniger frühe Geschichten aus Herrenmagazinen als spätere aus Themen-Anthologien oder Horror- bzw. SF-Magazinen und zeigt dreierlei auf: erstens, dass King mit einem guten Dutzend Geschichten, die er zwischen 1968 und 1992 veröffentlichte, so unzufrieden ist, dass er sie nicht mehr veröffentlicht sehen möchte; zweitens, dass er formal zwar dazugelernt hat, aber bereits vor 20 Jahren Geschichten veröffentlicht hat, die den Vergleich mit seinen neueren nicht zu scheuen brauchen, und ihm auch heute noch das eine oder andere Werk gründlich misslingt; drittens, dass er das Interesse am reinen Horror zu verlieren scheint und immer dann am stärksten ist, wenn er das Genre verlässt und sich in anderen Gefilden umsieht. Dies ist vielleicht, wie auch schon der Roman DOLORES, ein Indiz dafür, dass King allmählich den äußeren Horror in Gestalt von Ungeheuern und übersinnlichen Ereignissen aufgeben kann und endlich vollends zum inneren findet: zum Menschen selbst .
Einige Kurzgeschichten aus dieser Schaffensphase möchte der Autor nicht mehr in seine Sammlungen aufnehmen. „Before the Play“ etwa, 1982 in dem Horrormagazin Whispers erschienen, stellt den im Roman nicht veröffentlichen Prolog zu THE SHINING dar. In fünf aus Umfanggründen entfernten Szenen beschreibt King verschiedene (teilweise übersinnliche) Vorkommnisse, die sich
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