Wer hat Angst vor Beowulf?
Bolverk, in Permia Skirnir, in Serkland Eikenskjaldi. Bei den Dänen nannte man mich Kriegsvater, bei den Sachsen Meister. Für die Goten war ich der Totengräber und in Scythia der Eroberer. Die Götter nannten mich Hunferth, die Elfen Freki, für die Zwerge war mein Name Ganglati und für die Menschen bin ich …«
König Hrolf hielt sich die Ohren zu.
Hildy rollte sich auf die Seite und öffnete die Augen. Das bedeutete, daß sie noch am Leben war, wozu das auch immer gut sein sollte. Durch die Dunkelheit hindurch konnte sie Brynjolf mit dem Gesicht nach unten an der Stelle liegen sehen, wo die erste Windbö ihn umgeblasen hatte, und den Zauberer Kotkel dort, wo Thorgeir ihn niedergeschlagen hatte. Unter Schmerzen stemmte sie sich mit einem Ellbogen ab und blickte sich um. Da lag auch Arvarodd oder dessen Leiche, und über ihm stand ein großer grauer Wolf. Sie erinnerte sich, wie die beiden gekämpft hatten, bis Arvarodds Schwert in seinen Händen in tausend Splitter zerbrochen und sein Schild unter der Wucht des angreifenden Wolfs wie eine Blume zertrampelt worden war. Dann war ihr etwas ins Gesicht geflogen, und sie hatte nichts mehr gesehen.
Der König schien wie vom Erdboden verschwunden.
Der Wolf drehte den Kopf und knurrte Hildy an, wobei er sich Blut von den langen Reißzähnen leckte. Aber Hildy hatte keine Angst mehr. Sie war längst an dem Punkt angelangt, da Angst nichts mehr nutzt und Zorn die einzige Hoffnung auf Überleben bietet. Sie haßte diesen Wolf, und sie wollte ihn töten. Sie sah sich nach einer Waffe um, konnte aber außer dem Griff von Arvarodds Schwert keine entdecken. Wie ein Hund, der das Kratzen seines Freßnapfes auf den Küchenfliesen hört, trottete der Wolf plötzlich auf sie zu. Hildy starrte ihn gebannt an und war fasziniert von der Anmut seiner Bewegungen. Ihre Hand glitt unwillkürlich in die Tasche. Das kleine Stoffbündel, das ihr Arvarodd gegeben hatte, kam zu Vorschein, und ihre Finger berührten und erkannten dessen Inhalt: den Bergkristall, der die Fähigkeit verlieh, sämtliche Sprachen zu beherrschen; den Knochensplitter, der Beredsamkeit schenkte; den Stein, der Glück bringen sollte; den Stein von der Küste von Asgard …
Wenn Sie den auf irgend etwas werfen, verwandelt er sich noch im Flug in einen dicken Felsbrocken und haut alles platt, was ihm im Weg steht. Danach verwandelt er sich wieder in einen Bergkristall und kehrt in Ihre Hand zurück.
Hildy warf den Stein und verfehlte das Ziel.
Der Wolf heulte erschrocken auf und galoppierte davon. Der Stein kehrte mit einem pfeifenden Geräusch zu ihr zurück und landete wie ein scharfer Stachel in ihrer Handfläche, so daß sie ihn beinahe hätte fallen lassen. Sie fluchte laut und warf ihn erneut. Ein lautes Krachen verriet ihr, daß sie diesmal das Auto getroffen hatte. Als der Stein sich wieder, in ihren Fingern befand, war der Wolf nirgends mehr zu sehen. Sie wollte hinter ihm herlaufen, blieb dann aber wie angewurzelt stehen.
»Hast du nicht irgendwas vergessen?« fragte eine Stimme.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und starrte verunsichert in die Dunkelheit. Da waren zwei schwache Lichtpunkte …
»Statt mit Steinen zu schmeißen«, sagte die Stimme, »solltest du uns lieber wieder an die Spange anschließen.«
»Leuchtet heller«, bat Hildy, »ich kann kaum was sehen.«
Die Lichter flammten auf, und Hildy erkannte die Umrisse des zerbeulten Autos.
»Du konntest aber genug sehen, um diesen Felsbrocken nach uns zu werfen. Was haben wir dir getan?« beklagte sich die Stimme.
»Ich hab nicht nach euch geworfen«, sagte Hildy. »Da war dieser Wolf …«
»Du siehst vor lauter Wölfen keine Geister mehr«, warf ihr das Licht vor. »Die Spange liegt gleich da drüben.«
Das Licht der beiden Flecke fiel auf die funkelnden Granateinlagen, und Hildy hob die Drachenspange auf. »Und was muß ich jetzt tun?« fragte sie.
»Schling die Enden der Drähte um unsere Hälse«, forderte das Licht sie auf.
»Habt ihr denn Hälse?« fragte Hildy zweifelnd. Sie sah lediglich eine leuchtende Stelle, die gereizt aufflackerte.
»Natürlich haben wir Hälse«, stöhnte der Lichtfleck. »Du wirst es kaum glauben, aber sie befinden sich zwischen unseren Köpfen und Schultern.«
Hildy griff nach einem der Lichter.
»Aua! Ich möchte doch sehr bitten«, beschwerte sich der Fleck.
»Verzeihung.« Sie griff noch einmal danach.
»Schon wärmer«, sagte das Licht. »Noch ein Stückchen höher. Da ist es
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