Wer hat Angst vorm bösen Mann?
Einschränkung des Datenschutzes.
1972 wird Baader zusammen mit Holger Meins und Jan-Carl Raspe nach einer spektakulären Schießerei mit der Polizei verhaftet. 1977 verurteilt ihn das Gericht wegen vierfachen Mordes und mehrfacher Mordversuche zu lebenslanger Haft. Im selben Jahr wird der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt, um Baader und zehn andere inhaftierte Terroristen freizupressen. Einen Monat später entführen sympathisierende arabische Terroristen in Somalia die Lufthansa-Maschine «Landshut» und fordern ebenfalls die Freilassung der RAF -Mitglieder. Die GSG 9 , eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, befreit die Geiseln in Mogadischu.
Wenige Stunden danach werden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen tot aufgefunden. Später findet man die Leiche des ermordeten Hanns Martin Schleyer in einem Auto.
Die Nation war gespalten. Die einen sahen in Andreas Baader und seinen Gesinnungsgenossen eine Gruppe gefährlicher politischer Wirrköpfe. Die anderen verehrten sie als Freiheitskämpfer, die gegen den korrupten kapitalistischen Staat angetreten waren. Bewunderung schlug ihnen entgegen, hatten sie es doch geschafft, der geballten Macht von Polizei und Politik zu trotzen. Intellektuelle diskutierten darüber, ob die Forderungen der RAF nicht eine gewisse Berechtigung hatten. Andreas Baader war für viele junge Leute, die sich sein Poster neben Jimi Hendrix, Jim Morrison und Janis Joplin in das Zimmer hängten, die deutsche Antwort auf Ché Guevara. In meinem Studentenwohnheim in Tübingen sprach man mit Ehrfurcht und einer Art Stolz davon, dass Gudrun Ensslin auf der Flucht einmal auf dem alten roten Sofa im Flur geschlafen habe. Jeder siebte Bundesbürger hätte damals einer Umfrage zufolge den RAF -Leuten seine Luftmatratze zur Verfügung gestellt. [199] Und nicht wenige Journalisten renommierter Zeitungen brachten öffentlich großes Verständnis für die Rote Armee Fraktion auf.
Wie konnte es die Baader-Meinhof-Gruppe schaffen, in der Bevölkerung so viele Sympathien zu gewinnen?
Um das Phänomen RAF zu verstehen, kann es hilfreich sein, sich mit der Psyche des Anführers der Gruppe, Andreas Baader, auseinanderzusetzen. Die Ereignisse der damaligen Zeit werden verständlicher, wenn man versucht, die Persönlichkeit des Hauptterroristen zu durchleuchten. Auch wenn eine psychiatrische Einschätzung posthum natürlich nur eingeschränkt möglich ist, drängen sich bei der Beurteilung Baaders mehrere Symptome einer Persönlichkeitsstörung förmlich auf.
Zweiundsiebzig Jungfrauen
Was bringt Menschen dazu, sich Plastiksprengstoffgürtel umzuschnallen, auf einen Marktplatz zu gehen und sich dort detonieren zu lassen – inmitten von Gemüsehändlern, Hausfrauen und kleinen Kindern? Sind sie verrückte Fanatiker? Sind sie seelenlose Kriminelle? Sind sie hirnverbrannte Ignoranten?
Das Phänomen Terrorismus kann man nicht immer nur politisch erklären. Nicht alle Bombenleger sind Helden, die – wie die Gruppe um General Claus Schenk Graf von Stauffenberg – Hitler töten wollten, um Deutschland zu retten, und die dabei ihr Leben riskierten.
Gewiss wird so mancher wegen einer ohnmächtigen Wut auf ungerechte politische Verhältnisse oder wegen der empfundenen kollektiven Demütigung durch eine Supermacht zum Attentäter. Ein junger Palästinenser wird beispielsweise zum Suizidbomber, weil sein Bruder von den Israelis getötet wurde, ein anderer, weil er in bitterer Armut leben musste, wieder ein anderer, weil er im Krieg ein Bein verlor und will, dass möglichst viele Gegner ein ähnliches Schicksal erleiden. Einige haben eine unheilbare Krebserkrankung und wollen ihrem unausweichlichen Tod noch einen Sinn geben, indem sie für einen vermeintlich guten Zweck sterben. Manchmal sind es Menschen, die wegen persönlicher Probleme ihres Lebens überdrüssig sind. Das politische Ziel stellt dann oft nur eine Legitimation für den Suizid dar, [225] der in vielen Religionen streng geächtet ist, so in der Koransure 4 , 29 . In einer immer größer werdenden Zahl von Fällen werden unschuldige Kinder oder geistig Behinderte mit einem Bombengürtel losgeschickt. Auch das Umfeld kann jemanden zum Terroristen machen. In manchen Gemeinschaften, so unter libanesischen Muslimen, unterstützen 73 Prozent der Bevölkerung Suizidbomber. [226]
Wie aber tickt das Gehirn eines Terroristen, der nicht nur sein Leben wegwirft, sondern noch viele Unschuldige mit in den
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