Wer hat Tims Mutter entführt?
Panzerschrank zu nehmen, ist gar nicht so einfach. Nicht mal für die,
die den Schlüssel haben.“
Mortius legte auf.
„Er klingt sehr herzlich“,
sagte Gaby. „Chemie-Fabrikanten“, rief Klößchen, „zeigen niemals ihr wahres
Gesicht. Wenn Schokolade das Produkt wäre — da brauchte sich keiner zu
verstellen. Gute Schoko in umweltfreundlichem Papier ist ein echter Beitrag zur
Lebensfreude. Aber Chemie!“
„Vor allem ist Schoko ein
Beitrag“, lachte Karl, „zur Arbeitsbeschaffung für Zahnärzte. Ohne Zahnfäulnis,
die durch Süßigkeiten angeheizt wird, hätten die Zahnklempner wenig zu tun.“
„Ich verwahre mich gegen die
Unterstellung“, fauchte Klößchen, „daß mein Vater denen zuarbeitet. Ihm geht es
nur um den guten Geschmack auf der Zunge.“
*
Mortius legte den Hörer so
behutsam auf, als wäre er zerbrechlich.
Das Frühstückszimmer hatte
breite Fenster. Gleißende Sonnenstrahlen schienen auf die Butter zu zielen, die
zwischen Pflaumenmus und Parma-Schinken auf dem Tisch stand.
Mortius frühstückte seit einer
halben Stunde, vertilgte mit der ersten Mahlzeit des Tages immer gewaltige
Mengen. In der Reihenfolge: Haferflocken, Rühreier, Schinken und Wurst, Käse,
Honig oder Konfitüre. Und dazu mindestens sechs Tassen Kaffee.
Vor dem Telefonat mit Tim war
der Industrielle beim Schinken angelangt. Jetzt stahl der Appetit sich durch
die Rippen davon. Mortius legte die Gabel weg.
Martin Dramp hatte wenig
gegessen und gierte nach einer Zigarette, getraute sich aber nicht, solange der
Boss speiste.
Edith Pressler hatte sich in
einen pinkfarbenen Strampelanzug gehüllt, der den Bauchnabel freiließ. Sie
vertrug die Hitze nicht gut und seufzte seit Tagesanbruch mit gequälter Miene.
In das Schweigen sagte Dramp:
„Dieser Bengel wird allmählich zum Problem.“
Mortius saugte die Lippen ein.
„Also hat sie noch mit irgendwem telefoniert. Und Silent Warrior erwähnt. Wenn
es weiter nichts ist, bleibt der Schaden begrenzt.“
„Aber der Junge scheint
tatsächlich ein richtiger kleiner Detektiv zu sein.“ Edith Pressler lächelte
boshaft. „Und er versteht sich aufs Schnüffeln.“
„Als er gestern abend abzog“,
sagte Dramp, „muß er Fuentedos gesehen haben. Äh, natürlich nur den
Straßenkreuzer. Ich glaube zwar nicht, daß der Bengel irgendwen erkannt hat.
Aber mir wäre es doch lieber, wenn er unsere lateinamerikanischen Freunde nicht
bemerkt hätte. Denn der Knabe wird mir zu munter. Der steckt seine Nase in
alles.“
„Kannst ihn ja kidnappen“,
lachte Edith, „und zu seiner Mutter ins Loch stecken.“
„Finde ich gar nicht komisch“,
erwiderte ihr Bruder. „Im übrigen macht mir meine Rolle als stummer Mönch
keinen Spaß. Unter der Vermummung schwitze ich wie ein Affe.“
„Du übertreibst es mit der
Verkleidung. Susanne Carsten kennt dich doch gar nicht.“
„Aber sie könnte mir später
begegnen und sich dann an meine Hände, meine Füße, meine Stimme oder sonstwas
erinnern.“
„Ich bin dagegen“, sagte Edith
entschieden, „sie freizulassen. Für uns steht zuviel auf dem Spiel. Ihr setzt auf
ihre Dankbarkeit — auf eine 500 000-Mark-Dankbarkeit. Aber wenn’s nicht
funktioniert?“
„Ich wiederhole mich“, sagte
Mortius: „Sobald in Italien die Produktion umgestellt ist, kann man uns nicht
an den Wagen fahren. Am wichtigsten ist, daß wir Zeit gewinnen.“
Edith seufzte. „Ein halbes
Dutzend Leute dort ist eingeweiht. Wer diese Typen in die Mangel nimmt, kriegt
aus ihnen raus, was er hören will. Die haben doch kein Stehvermögen.“
„Dazu kommt es gar nicht“,
sagte Mortius, aber es klang, als hege er Zweifel. „Die Polizei wird nicht
eingeschaltet.“
„Wenn du meinst.“ Edith nahm
eine Orange vom Obstteller. „Trotzdem — wir haben unser schnellwirkendes,
geschmackfreies Gift. Ein paar Tropfen in Susanne Carstens Mahlzeit, und das
Problem ist gelöst.“
Ihr Bruder nickte.
Mortius rührte seinen Kaffee
um, obwohl der weder Zucker noch Sahne enthielt.
„Du mußt heute abend sehr
vorsichtig sein, Martin“, meinte Mortius nachdenklich. „Vielleicht greift der
Junge den Kidnapper an, der das Geld abholt.“
„Glaube ich nicht. Und wenn —
ich habe den Voko-Knüppel bei mir.“
„Den — was?“ fragte Edith.
„Das ist ein Verteidigungsgerät
— sieht aus wie ein Schlagstock, sendet aber Stromstöße aus, die einen Stier
umhauen. Natürlich nur an dem Ende, mit dem man den Angreifer
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