Wer heimlich küsst, dem glaubt man nicht (German Edition)
kann.
Aber wenn ich meinen Eltern das sage, würde ich ihre Gefühle verletzen, und das will ich nicht. Sie können schließlich nichts dafür, dass sie keine Ahnung vom Fotografieren haben.
»Bei Nanette Lepore gibt es in der Herbstkollektion so supersüße Samtjacketts«, antwortete ich. Und das war nicht einmal gelogen. Sidney hatte mir gesagt, dass sie total süß aussehen.
Was nicht heißt, dass ich vorhätte, mir eins zu kaufen.
Mom verdrehte wieder die Augen. Das fand ich echt lachhaft! Schließlich besitzt sie allein sechs Paar Schuhe von Manolo Blahnik, von denen jedes so um die fünfhundert Dollar kostet.
»Na gut, dann sprechen wir eben morgen darüber«, seufzte sie. »Ich wünsche dir trotzdem noch einen schönen Tag und denk nicht zu viel nach.«
Nachdem sie mir noch einen besorgten Blick zugeworfen hatte, schloss sie die Zimmertür. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie gemerkt, dass mir die Sache ziemlich zu schaffen machte.
Hab einen schönen Tag und denk nicht zu viel nach .
Haha!, dachte ich verbittert. Ja, klar. Ich werde bestimmt einen schönen Tag haben. Was kann denn schon Schlimmes passieren, bloß weil Tommy Sullivan, der größte Außenseiter der Middleschool, mit dem ich trotz allem einen freundschaftlichen Umgang pflegte und den ich vor vier Jahren grausam verraten habe (auch wenn er das anscheinend nicht weiß), wieder in der Stadt ist und nicht nur gemerkt hat, dass ich ihn unwiderstehlich finde, sondern mich auch noch dabei erwischt hat, wie ich meinen Freund betrogen habe. Und dieser Freund ist zufälligerweise auch noch der jüngere Bruder des Typen, dessen Leben er zerstört hat, als er ihn in einem Schülerzeitungsartikel als Betrüger geoutet hat.
Eben. Mein Tag wird bestimmt wunderschön.
ICH – BIN – SO – WAS – VON – GELIEFERT .
Kann es wirklich sein, dass Tommy nicht weiß, wie sehr ich ihn hintergangen habe?
Eigentlich kaum vorstellbar.
Nein, irgendetwas sagt mir, dass Tommy ganz genau weiß, was ich getan habe.
Und dass das der Grund dafür sein könnte, weshalb er wieder in Eastport ist.
Um sich an mir zu rächen.
Und ich habe ihm praktisch auf dem Silbertablett die perfekte Vorlage dafür geliefert: Er muss jetzt nur noch zu Seth gehen, ihm mitteilen, was er auf dem Mitarbeiterparkplatz vom Gulp beobachtet hat, und – voilà! –mein Leben ist vorbei.
Denn wenn Seth mich darauf anspricht, werde ich nicht lügen können. Ich kann zwar behaupten, eine leichte EHEC -Infektion zu haben und ihn zu lieben, obwohl ich mir da in Wirklichkeit gar nicht so sicher bin (würde ich sonst mit Eric rumknutschen?), aber ich könnte ihm niemals in die Augen sehen und sagen, dass zwischen mir und Eric nicht etwas passiert ist. Nein, das würde ich nicht fertigbringen.
Und ich kann es ihm ja nicht einmal verdenken. Tommy, meine ich. Dass er sich rächen will, ist absolut nachvollziehbar. Nach dem, was ich ihm angetan habe, hat er alles Recht der Welt, mich zu hassen.
Obwohl ich gestern Nacht, als ich in seinen Armen lag, fast das Gefühl hatte, dass er …
Aber da habe ich mich offensichtlich geirrt. Hinterher hat er ja mehr als deutlich gezeigt, dass er sich die ganze Zeit nur über mich lustig gemacht hat.
Tommy Sullivans teuflisches Lachen hallte immer noch in meinen Ohren wider, als ich kurz darauf die Treppe hinunterwankte. Das Haus war verwaist. Liam war auch weg. Wahrscheinlich war er bei meinen Eltern mitgefahren und hatte sich beim Jugendzentrum absetzen lassen. Offenbar wollte er alles geben, um vor dem Quahog-Probetraining noch ein paar Millimeter Muskelmasse aufzubauen.
Nachdem ich einen Energieriegel zum Frühstück gegessen hatte, schob ich mein Rad aus der Garage, setzte den Helm auf und versuchte mir einzureden, dass meine Befürchtungen lächerlich waren. Tommy Sullivan war bestimmt nicht nach Eastport zurückgekehrt, um sich an mir zu rächen. Denn dann hätte er mich vorher ja wohl kaum gewarnt und mir gesagt, dass er mich mit Eric hinter dem Schuppen beobachtet hatte, sondern einfach schnell ein Foto von uns gemacht und es an Seth gemailt.
Oder gleich an den Mailverteiler der Schule.
Oh Gott!
Obwohl ich normalerweise echt gern Rad fahre, fiel es mir schwer, die Fahrt in die Altstadt zu genießen. Was bildete sich dieser Tommy eigentlich ein? Ich meine, ganz im Ernst jetzt. Was hat er sich dabei gedacht, mich erst leidenschaftlich in seine Arme zu reißen und dann frech zu lachen, statt mich zu küssen? Okay, ich bin nicht
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