Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
tatsächlich den Faden verloren«, sagte van Harm, und das war nicht kokett dahergesprochen.
»Sie wollten sagen, dass Sie das gewesen sind mit der Bombe damals. Beziehungsweise wollten Sie sagen, dass Sie es nicht waren«, sagte der Makler, ohne sein verdammtes Wippen zu unterbrechen. Dafür zuckte es um seine Mundwinkel. Ganz leicht nur, kaum merklich. Aber Kai hatte es trotzdem gesehen. Das fortgesetzte Lächeln schien dem Makler Schwierigkeiten zu bereiten, vielleicht kämpfte er gerade gegen einen Krampf seiner Gesichtsmuskulatur.
»Es war nicht ich, der die Bombe gelegt hat. Es war mein Schreibtisch, der hochgegangen ist.«
»Was Sie nicht sagen.«
»Nein, im Ernst.«
»Ich glaube Ihnen ja.«
»Man hat herausgefunden, dass der Sprengsatz direkt darunter platziert gewesen war. Vielleicht haben Sie davon gelesen?«
»Das klingt in der Tat schrecklich.«
»Haben Sie?«
»Nein.«
»Nun, und da dieses Ereignis ohnehin so etwas wie eine Zäsur in meinem Leben, also in meinem Berufsleben darstellt, habe ich beschlossen …«
»Entschuldigen Sie, Herr van Harm, dass ich Sie unterbreche, aber Sie wollen keine Wohnung kaufen? Das hab ich doch jetzt richtig auf dem Schirm?«
»Das haben Sie. Aber ich will eine mieten. Nein, nein. Nicht, wie Sie denken. Nicht, um darin zu wohnen. Ich bin nach wie vor sehr glücklich mit meiner Frau und unseren gemeinsamen Kindern. Jetzt, wo ich durch diese, äh, Zäsur, die ich angedeutet habe, beruflich weniger eingebunden bin, kann ich mich noch mehr als früher … also: kümmern. Durch die Auszeit, meine ich, die ich mir einfach mal gönnen wollte.«
»Das ist schön. Da freue ich mich aufrichtig mit Ihnen. Sie brauchen also eine Zweitwohnung.«
»Eine temporäre Arbeitswohnung. So würde ich das nennen. Genau: temporäre Arbeitswohnung.«
»Dann lassen Sie uns mal Nägel mit Köpfen machen.«
»Gut: Möglichst billig müsste sie sein.«
»Ach.«
»Zwei Zimmer genügen.«
»Und welche Lage schwebt Ihnen so vor?«
»Wie wäre es mit dem anderen Kanalufer? Die Neuköllner Seite. Ich will nämlich mittendrin sein. Wissen Sie, ich benötige die Wohnung für ein Buchprojekt. Ich will recherchieren und schreiben und dabei so nahe wie möglich an den Menschen dran sein, um die es gehen wird. Deswegen auch: temporäre Arbeitswohnung. Ich will unter ihnen weilen und gleichzeitig arbeiten.«
»Verstehe, ein Buch über die Lohas und die DINK s ?«
»Die was?«
»Double Income No Kids: DINK s. «
»Gott bewahre!«
»Auch alles potentielle Wähler Ihrer Frau.«
»Ja, ja. Das mag ja sein, aber«, sagte van Harm und begann unter den skeptischer werdenden Blicken des Maklers zu erläutern, unter welcher Art von Menschen er zu angeblichen Recherchezwecken wohnen wollte. Menschen, von denen er annahm, dass sie in billigen Wohnungen in billigen Quartieren hausen mussten, und die damit die perfekte Ausrede für sein Anliegen an den Makler darstellten, ihm eine möglichst günstige Bleibe zu vermitteln.
»Sie meinen: Ausländer und Arbeitslose? Oder habe ich Sie jetzt völlig falsch verstanden?«
»Nein, nein, schon recht: Ich meine die durch den unerbittlichen Rost des sozialen Medians Gerutschten.«
»Die Armen?«
Van Harm nickte.
»Da kommen Sie mit dem anderen Kanalufer aber ein paar Jährchen zu spät. Zirka fünfzehn, würde ich aus dem Handgelenk schätzen. Bis zwanzig. Da müssen wir woanders zu suchen anfangen.« Er klappte sein Notebook auf und tippte etwas ein, hantierte mit der Maus, drehte das Scrollrad. Dann drückte er die Entertaste, und der Drucker unter seinem gläsernen Schreibtisch erwachte und spuckte wenig später eine zweiseitige Liste aus, die der Makler van Harm mit feierlicher Miene über den Tisch reichte.
»Suchen Sie sich eine aus. Und wenn Sie sich entschieden haben, geben Sie mir Bescheid.«
»Danke«, sagte van Harm und erhob sich.
»Eins wollte ich Ihnen noch sagen«, sagte der Makler, die Stimme verschwörerisch gedämpft, nachdem er van Harm in der offenen Tür seines Büros bereits mit Handschlag verabschiedet hatte.
»Ja?«
»Ich find’s gut, was Sie da vorhaben mit dem Buch. Man hört viel zu wenig über diese … Na, Sie wissen schon.«
»Danke«, sagte van Harm mit kaum wahrnehmbarer Stimme. Und während er auf den toupierten Hinterkopf der Vorzimmerdame starrte, hatte er das Gefühl, ihm steige literweise heißes Blut in den Kopf.
Am Abend desselben Tages, noch stocknüchtern und in voller Anzugmontur, verkündete Kai, nachdem
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