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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
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technisch überlegenen Konquistadoren erst einmal begannen, ihr seit Ewigkeiten angestammtes Land attraktiv zu finden, um es dann schleunigst in Besitz zu nehmen.
    Wenn Constanze von Türken oder Arabern sprach, hatte sie immer den alten Herrn Bigül aus dem Feinkostladen vor Augen oder seine Tochter Hatice, die sie noch als Schulmädchen kannte und die jetzt ein Haus weiter der heimeligen Familienbäckerei vorstand. Oder ihre Änderungsschneiderin, deren Namen van Harm nicht mehr wusste. Vielleicht noch die beiden Kollegen aus ihrer Fraktion, die sie einmal zum Essen eingeladen hatte. Die zwar schwarze Haare trugen und türkische Namen, aber bei den Gattinnen hörte es dann auch schon wieder auf. Beide waren sie mit deutschen Frauen verheiratet, und als wäre das nicht schlimm genug, waren die beiden Furien auch noch blond. Aber was hieß schon schlimm? Schlimm war da natürlich nichts dran. Höchstens aus türkischer Sicht. Aus der Sicht eines traditionellen türkischen Vaters zum Beispiel, so wie sich van Harm vorstellte, dass Herr Bigül einer war. Und Hatice trug ja auch immer dieses geblümte Kopftuch hinter der Verkaufstheke. Wobei van Harm nicht ausschließen konnte, dass es wegen der Hygiene war. Damit man kein Haar im Brot fand. Auf der Straße hatte er sie allerdings noch nie getroffen, konnte also nicht mit Sicherheit sagen, ob sie es wegen der Hygiene trug oder aus religiösem Wahn.
    Was hieß schon Wahn? Aus … aus religiöser Überzeugung.
    Oder hatte van Harm sie etwa doch schon einmal auf der Straße getroffen, und dann – bloß nicht erkannt ? Möglicherweise, weil sie dort kein Kopftuch getragen hatte. Oh müßige graue Zellen!
    Abgesehen von den auswendig gelernten Phrasen aus dem Handbuch Der Guten , mit denen sie auf jede von Kais politischen Provokationen reagierten (und die er alle schon bis zum Erbrechen kannte, weil auch Constanze diese Phrasen im Repertoire hatte und aus dem Eff-eff zum Besten geben konnte), waren ihm die Fraktionskollegen seiner Frau am jenem Abend vorgekommen wie zwei Reinickendorfer Kleingärtner, die nur gerne ein andersfarbiges Haupthaar auf dem Skalp gehabt hätten. Ein blondes zum Beispiel. Zur Not auch brünett. Sogar kupferfarben, wenn’s denn sein musste. Optional buschige Koteletten dazu wie der späte John Lennon.
    Kai dagegen hatte schon immer Respekt gehabt vor den Türken, vor den Arabern. Überhaupt: vor der ganzen Nahost-Mischpoke, einschließlich Nordafrika und Vorderer Orient. Nicht Respekt in jenem Sinne, dass er schätzte, was die Angehörigen dieser Stämme machten. Von Zeit zu Zeit tat er sogar das. Wenn er eine gute Falafel-Bude entdeckt hatte etwa, wo es frischen Hummus und Petersiliensalat gab. Und knuspriges Sharwama im Fladenbrot mit Backkartoffeln und scharfer Mangosauce, Zitronenjoghurt und ein paar Blättern Minze. Dann pries er gerne und empfahl, dass sich die Balken bogen. Sondern Respekt im Sinne von Angst. Machte sich eben besser, wenn man sagte: Respekt haben . Das klang nicht so feige. So feige, wie man im Grunde war.
    Zugegeben: »Stämme« hörte sich auch seltsam an, irgendwie nach neunzehntem Jahrhundert, irgendwie reaktionär.
    Vor den Frauen hatte er natürlich keinen Respekt, ob mit oder ohne Schleier. Das heißt natürlich: keine Angst.
    Schleier oder nicht: Das war ihm sowieso egal, seinetwegen auch bis zu den Knöcheln und schwarz wie die Nacht. Mit einem vergitterten Sehschlitz, aus dem die funkelnden Augen böse Blitze auf die Ungläubigen feuerten. Van Harm doch schnuppe. Alles noch im Rahmen, Religionsfreiheit und so weiter. Auch vor den älteren Herren fürchtete er sich nicht. Vor denen, die alle ein bisschen wie der nette Herr Bigül hinter seiner Oliven-und Schafskäseauslage aussahen, mit Schnauzbart, Jackett und Schiebermütze. Kariertes Hemd nicht zu vergessen. So wie man sich vorstellte, dass sie in den Sechzigern frisch aus Anatolien eingetroffen waren und zuerst mal ein bisschen hilflos auf dem Bahnsteig herumgestanden hatten, Köfferchen unterm Arm, bevor dann die deutschen Beamten kamen und sie an die Hand nahmen. Im übertragenen Sinne. Und sie auf die Fabriken verteilten und auf die Wohnheime in den heruntergekommenen Stadtteilen an der Mauer, die – haste nich jesehn – fünfzig Jahre später plötzlich die begehrten waren.
    Ein bisschen schon wie Karikaturen, aber wie liebevoll gemeinte, niedliche. Oder, wenn sie die buschigen Augenbrauen hochzogen und die Stirnen kraus wie die Figuren aus einer

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