Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
doch keine zwei Kilometer bis hierher.«
»Aber warum sollte sie?«
»Weil es brennt, vielleicht.« Van Harm überlegte kurz, ob der andere sich dumm stellte oder nur etwa zurückgeblieben war.
»Dann müsste aber erst mal jemand Bescheid sagen.«
»Haben Sie denn nicht …?«
»Wie denn? Ohne Telefon?«
»Mann Gottes!«, schrie van Harm und fasste sich auf die Brust, dorthin, wo normalerweise sein Handy in der inneren Jackettasche steckte: »Verdammt«. Er rannte los, alle Schmerzen ignorierend, fünfhundert Meter die Dorfstraße zurück, bis zum schlafenden Künstlerhaus. Er stürmte die Freitreppe hinauf, die zum ehemaligen Gutshaus führte, drückte die schwere Eichentür auf und stieß im Foyer beinahe mit einer der eingeborenen Küchenfrauen zusammen, die gerade dabei war, ein Tablett mit sommerlich glänzenden Käsescheiben von der Küche in den Speisesaal zu balancieren.
»Feuer!«, keuchte van Harm mit letzter Puste.
Die Frau sah ihn verständnislos an, blieb aber trotzdem stehen und legte nun eine erwartungsvolle Miene auf. Van Harm japste, und es kam ihm vor wie eine ganze Minute, ehe er in der Lage war fortzufahren: »Es brennt … da-hinten … die Kirche … das heißt«, er schnappte noch dreimal tief nach Luft, »… die Ausstellungshalle.«
»Na dann sag er dis doch gleich«, blaffte die Küchenfrau, drückte ihm das Tablett in die Hand und zog aus der Kittelschürze ein altmodisches Klapphandy. Sie wählte eine Nummer, und als sich eine Stimme am anderen Ende meldete, hielt sie van Harm das Handy hin, der jedoch heftig abwehrte, weil ihm die Luft noch immer knapp war, und der anschließend nur kraftlos nickte, während die Küchenfrau, ohne ihn aus den Augen zu lassen, den Brandvorfall statt seiner stockend durchgab.
Den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Hände in die Seiten gestützt und noch immer den Geruch von warmem Käse in der Nase, schleppte sich van Harm zu der Stelle zurück, an der nach wie vor der Einheimische stand und in die Flammen starrte, die nicht nur an Größe gewonnen hatten, sondern jetzt auch einen gewaltigen Krach erzeugten, die tosten und brandeten: ein Geräusch, als würde in der Hölle angeheizt.
Hatte van Harms Kreislauf bislang noch einigermaßen durchgehalten, kapitulierte er jetzt, da in der Ferne das Martinshorn einer Feuerwehr zu hören war. Van Harm sank in sich zusammen, und er wäre glatt umgefallen, hätten ihn nicht die Arme jenes leicht apathisch wirkenden Mannes aufgefangen, auf dessen geblümter Wohnzimmercouch Kai um halb zehn schließlich wieder zu sich kam.
Als er erwachte, sah er direkt in zwei gerötete Augen, die weit auseinanderstehend in einem Gesicht saßen, das neugierig über seinem hing. Ein durchaus freundliches Gesicht, denn der Mann lächelte, als er sah, dass van Harm wieder bei Sinnen war. Er zog seinen Kopf ein Stück zurück und sagte: »Darf ich mich vorstellen«, räusperte sich dann, als wolle er zu einer großen Rede ausholen, und fuhr fort: »Bruno Zabel mein Name. Ging ja allet so schnell vorhin, dass wir uns nicht mal bekannt machen konnten.«
Das also war der erste Dörfler, den van Harm näher kennenlernte. Konnte nicht schaden, wenn er vorhatte, länger hier draußen zu bleiben, selbst wenn Bruno Zabel etwas seltsam zu sein schien.
»Angenehm«, sagte Kai und nannte dann seinen Namen.
»Ick weiß, ick weiß. Wir kennen uns ja eijentlich schon.«
»Ach ja?«
»Die werte Frau Gattin hat mich ab und zu engaschiert, wenn Not am Mann jewesen war. Kleinere Reparaturen und so.«
»Oh.«
»Sie selbst waren ja immer ein bisschen abwesend jewesen, wa?«
»In Gedanken wahrscheinlich. Sie müssen schon verzeihen.«
»Keines Blickes ham Sie mich jewürdigt.«
»Ich versichere Ihnen: Das war durchaus nicht so gemeint.«
»Ick will mir doch jar nich beschweren, ick will Ihnen doch nur eines sagen: Wenn Sie mal wieder wat zu reparieren haben …«
»Ja, ja«, beeilte sich van Harm zu versichern, »es gibt ja immer irgendwas zu tun. Im Garten, am Haus …«
»Sie müssen wissen«, unterbrach Bruno, »dass dit Jeld vom Amt …«
»Ach, Sie auch?«
»Wieso auch ? Doch nich etwa Sie …?«
»Nein, nein, ich nicht! Aber es gibt doch so viele … von diesen … na, Sie wissen schon. Wie man immer liest, jedenfalls in der Zeitung.«
»Hier, trinken Sie«, sagte Zabel und zauberte aus dem Nichts zwei gefüllte Schnapsgläser hervor, von denen er eines van Harm reichte. »Jut für den Kreislauf, der Ihnen eben flöten
Weitere Kostenlose Bücher