Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Aufzug schließlich rechtfertigen. Außerdem hatte er keine Lust angesprochen zu werden, nicht von den Einheimischen und nicht von den Männern aus Frankfurt Oder. Als jener, welcher das Feuer entdeckt und – die Küchenfrau als Medium nutzend – gemeldet hatte. Wenn jemand Fragen deswegen stellen wollte, sollte er später zu ihm nach Zirnsheim kommen. Dann wusste Kai möglicherweise auch, wie er den angesichts des flammenden Infernos tatenlosen Bruno in einer Aussage unterbringen konnte. Oder ob er dessen Anwesenheit vielleicht sogar ganz verschwieg.
Erst als die letzten Häuser von Vieracker hinter ihm lagen, wechselte Kai wieder in einen zügigen Spazierschritt: rechts der Straße dehnte sich die Große Zirnsheimer Wiese , von der er jetzt wusste, dass sie mit dem Segen Brüssels existierte, was sie tatsächlich irgendwie bedeutender machte, rechts auf den Feldern sprossen die grasgrünen Triebe irgendeiner Saat, und auf beiden Seiten staksten die unvermeidlichen Störche umher und stocherten mit ihren Schnäbeln im Boden. Weniger als zwei Kilometer trennten van Harm noch von einer Dusche und einem ordentlichen Espresso, der ihm den letzten Rest von Bruno Zabels Schnaps aus dem Körper treiben würde. Als er einen Motor hinter sich hörte, begann er abermals in einen leichten Laufschritt zu fallen. Gleich darauf überholte ihn schon ein weißer Golf, dessen Tempo nicht der Qualität der Fahrbahn entsprach. Van Harm hatte es noch nicht einmal geschafft, in den Spazierschritt zu wechseln, als ein nächster Wagen an ihm vorbeischoss. Ein klappriger Japaner in dunklem Grau, hinter dessen Steuer er allerdings den aufgeplusterten rot flammenden Kopf seiner Fahrerin erkennen konnte, bei der es sich zweifellos um Frau Malenkova handeln musste, jene Hobbymalerin und gefälschte Russin, deren Bilder heute Morgen ins Kunstwerke-Nirvana eingegangen waren.
Zirka weitere fünf Minuten später zog mit breiten Reifen, allradgetrieben und wie aufgebockt wirkend, ein Pick-up an van Harm vorbei. An der Seite des Wagens prangte die Zeichnung eines fröhlichen Schweins, dem eine Gabel im Hintern steckte, und so war es auch kein Wunder, dass der Wagen nach rechts auf die Zirnsheimer Wiese einbog, wo inmitten des subventionierten Biosphärenreservats Winfried Jagodas Mastanlage leise vor sich hinstank, während in ihrem Inneren Schnitzel und Filets heranwuchsen.
Aber der Pick-up war nicht das letzte Fahrzeug, das van Harm an diesem Tag noch begegnete. Allerdings kamen die Autos, nachdem er Jagodas fröhliche Schweinemast hinter sich gelassen hatte, plötzlich von vorne. Der erste Wagen wiederum, kaum langsamer als auf der ersten Tour, war der weiße VW Golf. Diesmal erhaschte Kai auch einen Blick auf die Fahrerin: eine blonde Frau mit verkniffenem Mund, die Sonnenbrille ins Haar gesteckt. Sie wirkte bleich, wenigstens in jenem kurzen Moment, als van Harm ihr Gesicht erkennen konnte, was aber durchaus an der verlaufenen Wimperntusche liegen mochte, die ihr sowohl die Augenpartie als auch – in dünnen Rinnsalen – die Wangen schwarz färbte. Er war sich sicher, dass es sich bei der Blondine um Frau Dr. Soundso handelte, die Direktorin des Künstlerhauses, deren Namen ihm natürlich entfallen war. Wenig später bretterte der tarnfarbene Geländewagen ihres mutmaßlichen Geliebten – oder war es mittlerweile ihr Exgeliebter? – über die Buckelpiste, nicht ohne dass der Fahrer in seiner olivgrünen Försterjacke kurz die Hand zum Gruß erhoben hätte, als er den verdutzten van Harm passierte.
Die Dritte, die den beiden nach einer ganzen Weile in gemütlichem Reisetempo folgte, war einmal mehr die falsche Russin Tatjana Malenkova. Auch sie warf einen Blick auf van Harm, als sie an ihm vorbeifuhr, doch weil ihr eine große Sonnenbrille auf der Nase saß, ließ sich nicht sagen, von welcher Art dieser Blick war.
Dann stand Kai endlich in der kühlen Küche seines Bauernhauses. Seine Glieder schmerzten, er verschnaufte eine Minute, froh, der seltsamen, ländlichen Welt dort draußen heil entkommen zu sein. Als beim Griff nach der Espressobüchse sein Blick zufällig auf die Mikrowellenuhr fiel und er feststellen musste, dass es schon halb vier am Nachmittag war, ließ er den Kaffee Kaffee sein und machte stattdessen eine der Flaschen mit Alkoholika auf, die Peggy und er aus Berlin mitgebracht hatten.
Nicht schon wieder!
»Wie jeht’s denn nu dem Grill?«
»Wo haben Sie denn meine Handynummer her?« Die Mikrowellenuhr zeigte
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