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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
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gang und gäbe war, sie zu allen möglichen Anlässen zu hissen. Natürlich trägt Kretzschmer auch heute seine schwarz-weiß-roten Hosenträger, aber als die sechs jungen Berliner kurz nach halb elf das Deutsche Haus betreten und unverzüglich sechs große Pils bestellen, sieht alles danach aus, als würden sie sich weder daran noch an der Fahne stören. Auch als sie eine Stunde später schon die fünfte Runde ordern, läuft noch alles in geordneten Bahnen. Es scheint, als hätten sich die heimischen Gäste an die Berliner gewöhnt und die Berliner an die Einheimischen, die sie kurz zuvor noch in Sprechchören verhöhnt haben.
    Der fünften Runde aber folgt in dieser Nacht keine weitere Bestellung. Doch statt zu bezahlen, erhebt sich einer der schwarzen Jungs und schleudert seinen Bierkrug gegen die Reichskriegsflagge. Man hört es klirren. Die anderen Berliner springen unterdessen auf. Stühle fallen um. Die Jungs gehen in Kampfstellung. Jene Altwassmuther, die über ihren Getränken weggedöst waren, sind plötzlich hellwach. Zwei erheben sich und werden umgehend von den Jungs angebrüllt, sich wieder zu setzen.
    Einer der Berliner nimmt einen Stuhl und balanciert ihn über dem Kopf. Schon fliegt das nächste Glas gegen die Flagge und schlägt wieder in das Regal mit den Wein-und Saftgläsern ein, vor dem Kretzschmer sie aufgespannt hat.
    Kretzschmer, der den Wurf geahnt hat, ist vorher hinter dem Tresen abgetaucht.
    Die Berliner lachen.
    Als Kretzschmer wieder auftaucht, hat er einen Baseballschläger in der Hand. Er sieht nicht glücklich aus, aber er wirkt entschlossen. Vielleicht kann er deshalb ohne Mühe dem Stuhl ausweichen, der auf seinen Kopf zugeschossen kommt. Man kann quasi sehen, wie das Adrenalin jetzt durch seinen Körper schießt.
    Auch die Berliner merken, dass er sich zu verwandeln droht. Dass er zum Berserker werden könnte, zum Werwolf. Sie nehmen die verbliebenen Gläser in die Hand, um sie auf Kretzschmer zu werfen, falls der eine falsche Bewegung macht. Mit den Wurfgeschossen im Anschlag bewegen sie sich langsam zur Tür. Kretzschmer bewegt ebenso langsam den Kopf, um sie im Blick zu behalten.
    Einer sagt noch: »Schreib’s an, wir zahlen beim nächsten Mal.« Aber es klingt nicht so überlegen wie gedacht. Es klingt kleinlaut und fast ein bisschen feige. Dann sind die sechs schwarzen Jungs aus der Gaststube verschwunden.
    Während Wolf Kretzschmer den Baseballschläger beiseitelegt und zum Telefonhörer greift, postieren sich die Berliner breitbeinig vor der Gaststätte. Einer zückt sein Handy, knipst die anderen, wie sie in Wurfstellung dastehen, knipst das leuchtende Schild über der Kneipentür. Es blitzt gewitterartig durch die Dunkelheit.
    Dann werfen sie die Bierhumpen auf das Sütterlin des Leuchtkastens. Das Splittern kann man bis zum Drainagegraben am Zirnsheimer Ortsausgang hören, wo Jagodas Männer auf der Lauer liegen.
    Über dem Deutschen Haus geht das Licht aus, es zischt wie nach einem Kurzschluss, und für mindestens eine halbe Minute erfüllt das Triumphgeheule der jungen Männer die Nachtluft. Auch das hören die Milizionäre in ihrem Versteck.
    Wolf Kretzschmer sieht durch die vergilbten Gardinen seiner Gaststube, wie die Jungs abziehen, siegesgewiss und nur minimal schwankend vom schnell hintergekippten Bier. Er zählt langsam bis fünfzig, dann tritt auch er nach draußen, den Baseballschläger noch immer in der Hand. Er blickt reglos in die Dunkelheit, wo gerade die Berliner verschwunden sind, und kehrt aus dieser Starre erst zurück, als die breiten Reifen eines Pick-ups neben ihm halten. Am Steuer sitzt Winfried Jagoda, auf der Ladefläche kauern dicht an dicht zwölf weitere Milizionäre, die Kretzschmer über die Telefonkette der Bürgerwehr alarmiert hat. Keiner von ihnen scheint mehr nüchtern zu sein, aber darum geht es nicht. Zusammen mit den Männern am Drainagegraben sind sie jetzt zwanzig, das sollte genügen.
    Jagoda öffnet für Kretzschmer die Beifahrertür. Bevor er losfährt, zieht er etwas aus seiner Sakkotasche und hält es dem anderen unter die Nase. Im orangefarbenen Schein der Armaturen kann Kretzschmer erkennen, worum es sich bei dem Gegenstand handelt: Es ist ein Teleskopschlagstock.
    Sie fahren im Schritttempo ohne Licht, der Motor schnurrt wie ein Panther. Es dauert keine fünf Minuten, da haben sie die Jungs eingeholt. Jagoda blendet das Licht auf. Die Berliner drehen sich um, nehmen die Hände vor die Augen. Man kann sehen, dass sie

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