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Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition)

Titel: Wer hier stirbt, ist wirklich tot: Ein Provinzkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximo Duncker
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die Pedale und kam deshalb schnell zu jener Stelle, an der Felix’ Vater gestern seine bürgerliche Contenance verloren hatte. Das schmale Wiesenstück der Feldbegrenzung war hier niedergetrampelt, genauso wie die Böschung am Drainagegraben. Überall lagen kleine Splitter herum und Fetzen aus Stoff oder Papier. Den schlimmsten Anblick aber bildeten einige dunkle, rostrote und viel zu große Flecken, die wie mit einem riesigen tropfenden Pinsel hingekleckert schienen. In der Mitte der größten dieser Flecken, wo es noch feucht war, saßen ein paar dicke Fliegen, rieben sich die dünnen Beinchen und taten ansonsten, was immer sie da tun mussten.
    Kai schluckte runter, was gerade dabei war, in ihm aufzusteigen, hielt die Luft an und strampelte, statt zu atmen, einfach noch ein bisschen schneller.
    Schon von Weitem sah er, dass die Sache mit dem schwarzen Block noch nicht ausgestanden war. Vor der Kirche parkte ein großer Reisebus aus Frankfurt Oder, doppelstöckig, mit Klimaanlage und WC. Der Pope – und van Harm nannte ihn ganz bewusst so – hatte es sich also nicht verkneifen können, einen Luxusbus für die verzogene Bande anzumieten, der sie zum Regionalexpress in die Kreisstadt brachte.
    Aber wie gesagt, noch waren sie nicht weg. Vielmehr waren sie gerade dabei, sich in Blockformation am Rand der Bundesstraße aufzustellen. Das Fronttransparent war schon entfaltet, und van Harm sah, dass die erste Reihe dahinter aus jenen sechs jungen Männern bestand, denen die Bürgerwehr letzte Nacht das Fürchten beigebracht hatte. Sie hatten blaue Augen und geschwollene Lippen, trugen riesige, weiß in die Gegend leuchtende Kopfverbände. Der eine hatte den bandagierten Arm in einer Schlinge, der andere humpelte an zwei Krücken, und einem Dritten waren mit groben Stichen die geplatzten Augenbrauen genäht. Heute noch mehr als gestern, nach dem Gewaltmarsch von acht Kilometern, ähnelte die Berliner Truppe einer geschlagenen Armee, denn heute komplettierten ihre Kriegsverletzten, was bisher zum vollständigen Bild gefehlt hatte.
    Kai stieg vom Rad, und während er es Richtung Kirche schob, vor der Pfarrer Pagel stand und noch jemand, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte, finster guckte und auch ansonsten aussah wie ein Busfahrer, setzte sich der Zug der Demonstranten in Bewegung.
    Sie liefen langsam, denn die Versehrten in der ersten Reihe gaben das Tempo vor. Sie liefen sogar sehr langsam. Sie schleppten sich einmal von der Kirche zur Bushaltestelle und dann wieder zurück. Sie zündeten Polenböller an und bewarfen damit die Autos, die hupend auf der Bundesstraße standen und auf ihre Weiterfahrt warteten. Sie warfen Polenböller in die Handvoll Vorgärten, an denen sie vorbeimarschierten, wenn sie sahen, dass jemand hinter den Gardinen stand und sie beobachtete.
    Und nicht zu vergessen: Sie skandierten eine Parole, eine einzige heute nur, die eine klare Botschaft enthielt und weithin vernehmbar war:
    »Heute ist nicht alle Tage,
    Wir kommen wieder, keine Frage!«
    »Na, hoffentlich bleiben sie lieber weg«, sagte der Pfarrer zu Kai van Harm, als der Bus endlich am Horizont verschwunden war.
    »Die sehen wir so schnell nicht wieder, wenn wahr ist, was die Spatzen von den Dächern pfeifen.«
    »Was pfeifen sie denn?« Der Pfarrer sah ihn neugierig an. Scheinbar schien er nichts von dem zu wissen, was Bruno Kai heute Morgen erzählt hatte.
    »Na so dies und das. Kindereien eben. Der übliche Tratsch, die üblichen Gerüchte.«
    »Ah ja«, sagte der Pfarrer, ohne seinen stechenden Röntgenblick von Kai abzuwenden.
    »Ja.«
    »Wissen Sie, was das Seltsamste ist? Angeblich will keiner von denen gesehen haben, wer sie denn nun verprügelt hat. Die reden sich alle auf den Alkohol raus und auf Gedächtnislücken. Keiner von denen will Anzeige erstatten, auch nicht gegen unbekannt.«
    »Das klingt wirklich seltsam.«
    »Nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Oder finden Sie nicht?«
    »Doch, durchaus«, sagte Kai. »Vielleicht haben die ja selber Dreck am Stecken, der nur aufwirbeln würde, wenn sich die Polizei einmischt?«
    »Die Polizei? Sich einmischt? «
    »Na, sich ein schaltet meinetwegen.«
    »Wer weiß, wer weiß«, sagte Pfarrer Pagel, »wollten Sie eigentlich zu mir?«
    »Ja«, sagte Kai und erzählte, dass er seine Kinder suche, die ihm eine Nachricht hinterlassen hätten, dass sie mit Freunden in Polen seien.
    »Jedenfalls nicht mit Benny und nicht mit Lenchen«, sagte der Pfarrer. »Die stehen in der Küche und

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