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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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Fernseher aus. Ohne Vorwarnung fängt er an zu lachen. Nach ein paar Sekunden kippt das Lachen. Plötzlich hält sich Barnie die Hände vors Gesicht. Der Mann, der niemals weint, heult wie ein Baby mit Blähungen. Ich bin mit der Situation überfordert. In den gut zwanzig Jahren unserer Freundschaft habe ich Barnie nur ein einziges Mal weinen sehen. Bei der Niederlage des FC Bayern am 26. Mai 1999 im Champions-League-Finale gegen Manchester United. Zwei Minuten vor Schluss, beim Stand von 1:0 für Bayern, den sicher geglaubten Triumph vor Augen, wollte er nur schnell den Champagner aus dem Eisfach holen. Als er zurückkam, hatten die Bayern 1:2 verloren. Er konnte nicht begreifen, was los war. »Ist schon aus?«, hat er gefragt.
    »Du, Barnie, du hast da gerade was verpasst«, lautete meine Antwort. Ich glaube, das war der traurigste Moment in seinem Leben. Als ich ihm sagen musste, dass ich gerne mit Luisa zusammenleben würde, und es an der Zeit wäre, unsere WG aufzulösen, war er bestimmt nicht halb so traurig. Aber das jetzt übertrifft alles. »Ich geh mal schnell pinkeln«, sage ich.
    Barnie nickt.
    Im Bad wähle ich Luisas Nummer. Es dauert ewig, bis sie abhebt. »Wo bist du?«, frage ich leicht panisch.
    »Bei Verena.«
    »Wie war das Abendessen?«
    »Nicht so toll.«
    Ich höre im Hintergrund betrunkene Frauen, die wie pubertierende Mädchen kichern. »Was ist denn bei euch los?«
    In diesem Moment habe ich aber schon Marie am Hörer. »Hey, Bräutigam«, grölt sie. »Glückwunsch.« Ich bedanke mich artig und bitte höflich darum, dass sie mir wieder meine Verlobte gibt. »Alles Roger in Kambodscha«, sagt Marie tatsächlich. Ein mehrstimmiger Chor setzt ein. »Braut, Braut, Braut.« Dann Jubel.
    »Moment«, bittet mich Luisa um Geduld. »Ich geh mal schnell auf den Balkon.« Es dauert eine halbe Minute, dann: »So, da bin ich wieder. Was gibt’s so Dringendes?«
    Ich zögere erst. Dann sage ich, wie es ist: »Barnie weint!«
    Einen Moment herrscht totale Stille.
    »Das muss ich sofort den Mädels erzählen.«
    »Bitte nicht, Luisa.«
    »Komm schon, Mark.«
    »Nein«, verbiete ich. »Sag mir lieber, was ich tun soll?«
    »Ihn in den Arm nehmen.«
    »Bleib sachlich.«
    »Keine Ahnung. Barnie ist dein bester Freund.«
    Nach längerem Hin und Her einigen wir uns darauf, dass sie mich später abholt. Luisa ist einfach besser in Gefühlsangelegenheiten. Vielleicht weiß sie Rat. Als ich aus dem Bad komme, läuft der Fernseher wieder.
    »Eins null.«
    Nach sechzig Minuten liegen die Bayern immer noch mit einem Tor in Front. Sie müssten aber noch eines schießen, um sich in die Verlängerung zu retten. Nur die Barca-Abwehr gibt sich bislang, mit einer Ausnahme, keine Blöße. Mir dagegen ist die Situation entglitten. Der Barnie neben mir ist nicht der Barnie, den ich kannte. In der Halbzeitpause hat er mir sogar so ein Ultraschallfoto vor die Nase gehalten und etwas von einem Wunder gefaselt. Das einzige Wunder ist, dass es so lange gedauert hat. Ich meine, bei seiner Promiskuität, um das Kind beim Namen zu nennen.
    »Eine Sache läge mir da noch auf dem Herzen«, säuselt Barnie in einem Singsang, der mir die Zehennägel aufdreht.
    »Stopp!« Ich verlange ein Time-out.
    »Was ist?«
    »Das frage ich dich.«
    »Ich bin wie immer.«
    »Dein Tonfall verwirrt mich. Und du bist ein Schatten deiner selbst. Du heulst hier rum wie ein Kindergartenkind, führst Geheimtelefonate, lässt irgendwelchen Gefühlssermon vom Stapel und nuckelst schon seit einer Stunde an deinem Bier.«
    »Lilly schaut später noch kurz vorbei.«
    Daher weht der Wind. »Ja, und?«, frage ich trotzig.
    »Sie mag es nicht, wenn ich zu viel trinke.«
    »Seit wann lässt du dir vorschreiben, wie viel du trinkst?«
    »Weißt du«, setzt Barnie zu einer staatsmännischen Rede an. »Zeiten ändern sich.«
    »Finde ich nicht. Ich will meinen alten Barnie zurück.«
    »Dann musst du in der Zeit zurückreisen.«
    »Super«, meckere ich und atme deutlich aus. »Und jetzt? Wie geht’s jetzt weiter?«
    »Ich wollte dich fragen, ob du Patenonkel wirst.«
    »Von wem denn?«
    »Meinem Kind.«
    Ich sehe das Glänzen in Barnies Augen. Ich schüttle ungläubig den Kopf, zeige auf mich. Barnie nickt, weil er nichts mehr sagen kann. Ich bringe jetzt auch nur ein knappes »Ja« hervor. Zum ersten Mal in zwanzig Jahren bester Freundschaft umarmen wir uns. Irgendwie hatten wir das wohl immer für schwul gehalten. Ist es aber nicht. Es tut gut, den besten Freund zu

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