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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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uns andere Jäger beobachten, würden sie vermutlich zwei tapsige Bären sehen, die sich um ein Glas Honig balgen. Der Hochsitz wackelt bedenklich, der Kaffee schwappt aus der Thermoskanne.
    »Bravo, bravissimo«, meint der Signore wütend.
    »Du mich auch«, gehe ich zum spontanen Du über.
    »Vaffanculo.«
    »Che culo«, improvisiere ich und imitiere dabei seine typische Handbewegung aus dem Handgelenk unterm Kinn nach vorne. Keine Ahnung, was ich jetzt genau gesagt habe, aber es zeigt Wirkung.
    »Hau bloß ab, du …«, brüllt der Signore.
    »Con piacere.« Damit hat sich mein Italienisch erschöpft.
    Ich lege meine ganze Kraft in den Abstieg, in der Hoffnung, dass der Hochsitz zusammenbricht. Leider steht er aber noch, als ich wieder Waldboden unter meinen Füßen habe. Ich werfe einen letzten Blick zum Signore. Der schaut auf mich herunter und zieht mit dem rechten Zeigefinger das rechte Augenlid herunter. Ich imitiere ihn mit großer Geste.
    Eigentlich sollte unser kleiner Streit damit beendet sein. Doch der Signore schmeißt ohne Vorwarnung seinen Rucksack auf mich, dann seine Jacke, dann klettert er wutschnaubend herab und wirft sich auf mich wie ein Wrestler. Wenig später rollen wir uns auf der Erde.
    Keine Ahnung, wie lange das so geht und was genau Ziel und Zweck dieser Übung sein sollen. Wir dreschen ja nicht wirklich aufeinander ein. Keiner will den anderen töten oder auch nur verletzten. Es ist mehr so ein, tja, wie soll man sagen? Revierkampf? Genau, ein Revierkampf. Zwei Eber, die testen, wer der Stärkere ist. Obwohl die Luft noch kühl ist, schwitze ich. Mir ist heiß. Der Klügere gibt nach. Ich habe keine Lust mehr, will nach Hause, frühstücken, Luisa küssen.
    »Aufhören«, brülle ich.
    Der Signore nimmt bereitwillig seine Hand von meinem Hals.
    »Entweder du drückst richtig zu oder wir lassen es.«
    »Lassen wir es.«
    Keuchend stehen wir auf und klopfen uns Erde, Blätter, Käfer und anderes Getier von der Kleidung und aus den Haaren. Bald wird uns die Absurdität des Augenblicks bewusst, und wir brechen erst in kurze Lacher, dann in schallendes Gelächter aus. »Du hast da noch was«, sage ich und schnippe Carlo eine Schnecke von der Schulter. Sein Hemd ist über der Brust gerissen. Es hängt nur noch wie ein Lappen an ihm. »Dein Hemd ist im Eimer.«
    »Mist. Jetzt muss ich das meiner Frau erklären.« Carlo entledigt sich des Fetzens ganz.
    Er hat eine gute Figur für einen Mann jenseits der fünfzig. Kein Gramm Fett. Definierte Muskelpartie. Das bekommt man mit einer OP nicht so gut hin. Beim zweiten Blick fällt mir aber eine Hautveränderung auf. »Darf ich mir das mal genauer ansehen?«
    Ich deute auf eine Stelle etwas oberhalb des Herzens.
    »Nur ein Muttermal«, brummelt Carlo und winkt ab.
    Tatsächlich ist es ein großer dunkelroter Fleck und daneben ein etwas kleinerer schwarzer. »Das solltest du mal untersuchen lassen«, rate ich ernst.
    »Warum?«
    »Weil das aussieht wie ein malignes Melanom.«
    »Melanom?« Carlo sieht mich ungläubig an.
    »Hautkrebs«, übersetze ich.
    »Du spinnst ja!«

Luisa
    Angespannt sitze ich mit meiner Mutter beim Frühstück auf der Terrasse. Wir sind uns einig: Sobald unsere Männer zurückkommen, ist eine Entscheidung gefallen. Entweder sie sind dicke Freunde oder Todfeinde. Natürlich gehe ich von Ersterem aus. Aber sollten sie verfeindet heimkommen, haben wir wenigstens alles versucht – und schlimmer als vorher kann es gar nicht werden.
    »Du bist sicher, dass das eine gute Idee war?«, fragt meine Mutter zögernd.
    »Mama, wir waren uns doch einig. Ich sage Mark, dass Papa mit ihm jagen gehen will, und du erzählst Papa, dass Mark mit ihm jagen gehen will. Extremerfahrungen schweißen zusammen.«
    »Jedes Zusammentreffen der beiden ist eine extreme Erfahrung.«
    Da muss ich ihr leider recht geben.
    »Ich hoffe, du weißt, dass dein Vater nicht Mark persönlich hasst.«
    »Das ist mir neu. Sondern?«
    »Er hasst die Idee, dass jemand anderer die Nummer eins für sein kleines Mädchen sein könnte.«
    »Und deshalb soll ich mein Leben alleine verbringen? Das wäre ja wohl die logische Konsequenz.«
    »Ich glaube, so weit denkt er nicht.« Mit resoluten Bewegungen schneidet meine Mutter ein Brötchen auf. »Aber es hätte jeder ankommen können – er würde nur einen Mann akzeptieren, den er selbst ausgesucht hat. Wie zum Beispiel deinen eigenartigen Cousin.«
    »Seine Vorschläge waren nicht gerade ansprechend.«
    »Ich weiß«, seufzt

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