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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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die Oberschenkel, der Bauch spannt kein bisschen unter dem Leinenhemd, auch die Haare trägt Richard wieder länger, ein bisschen so wie Richard David Precht. Vor allem aber hat er abgenommen. »Zehn Kilo in zehn Monaten«, sagt er stolz, als ich ihn darauf anspreche, und verkündet gleich sein Geheimrezept: »Weniger Wein, mehr Sport.«
    »Sport?«
    Ich hätte nicht fragen sollen.
    »Power Plate!«, präzisiert Richard. »Ist im Prinzip ganz einfach. Du stellst dich zweimal pro Woche zwanzig Minuten auf eine vibrierende Platte und machst darauf deine Übungen.«
    »Welche Übungen?«
    »Katzenbuckel, Flieger, Sit-ups. Alles Mögliche halt.«
    »Auch Liegestütze?«
    »Vor allem Liegestütze.«
    Ich hasse Liegestütze. Aber vierzig Minuten Sport in der Woche klingt überschaubar. Als ich noch das Für und Wider abwäge, sehe ich, wie sich mein Vater einen Joint dreht.
    »Du rauchst«, stellt Luisa fest.
    »Aber nur Gras«, entgegnet mein Vater.
    »Na dann«, sage ich. Ich müsste wirklich öfters hier vorbeischauen. Ist ja wirklich eine Welt für sich. Nur der Kuchen schmeckt nicht. Ist so ein Sacher-Derivat. Hirse, Kleie, Dinkel, was weiß ich. Ich kapituliere nach dem zweiten Bissen.
    Mein Vater nimmt einen tiefen Zug von seinem Joint, lehnt sich zurück und schließt die Augen.
    »Macht er das öfter?«, frage ich meine Schwestern.
    »Schon«, gibt Rebekka zu.
    »Wegen der Rückenschmerzen«, fügt Judith an. »Vom vielen Training.«
    »Du kiffst aus therapeutischen Gründen?«
    »Mehr oder weniger. Priska kennt da jemanden, der das Zeug im Garten anbaut.«
    »Im Garten?«
    »In so einem kleinen Gewächshaus hier in der Nachbarschaft.«
    »Ich hörte meinen Namen.« Plötzlich taucht Priska wie eine Erscheinung auf der Terrasse auf.
    »Was bist du? Ein Geist?«, frage ich.
    »Ein Engel vielleicht.«
    Priska hat sich irgendwas um die Schultern geworfen, das nach Schaf aussieht.
    Richard schaut auf seine Uhr. »Schon ausgetanzt?«
    »Habe mich in der Woche geirrt. Tanzen ist erst nächsten Samstag wieder. Heute ist Buchclub. Ich habe aber das Buch vergessen.«
    »Buchclub?«, klinkt sich Luisa interessiert ein.
    »Mehr so ein esoterischer Zirkel«, flüstert Judith ihr zu.
    »Was lest ihr gerade?«, will Luisa wissen, während ich Vaters Joint probiere und gleich furchtbar husten muss.
    » Die kastrierende Köchin von Eleonore von Pückler-Schmand.«
    »Noch nie gehört.«
    »Ihre Sprache ist so karg und dürr wie die Wüste Gobi im Sommer und so hölzern wie Reisig zum Anheizen des Kachelofens«, erklärt Priska. »Viel sagt sie nicht. Aber das Wenige ist klar und deutlich.«
    »Und worum geht’s genau?«
    »Ums Wiederkommen. Das ist eines ihrer Schlüsselwörter. Es beinhaltet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Obwohl vielschichtig, lässt dieses Wort nichts an Klarheit zu wünschen übrig. Die Autorin zitiert außerdem häufig aus dem Fahrplan der Bahn, ihre Heldin fährt grundsätzlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Besonders verabscheuungswürdig finden beide, Autorin und Kommissarin, im Übrigen aufgemotzte Autos.«
    »Ah, Kommissarin, ein Krimi also. Ich lese auch Krimis«, verkünde ich stolz.
    »Kein Krimi! Die Hauptfigur ist zwar Kommissarin. Es geht aber nicht um Mord und Totschlag.«
    »Komischer Krimi.«
    »Muss sich denn immer alles um Gewalt drehen?« Missbilligend sieht mich Priska an. »Gibt es angesichts des Elends in der Welt nicht erfreulichere Themen? Ist es so schwer, Glück, Harmonie oder Schönheit darzustellen? Von Pückler-Schmand beschreibt beispielsweise, wie die Kommissarin nach einem langen Tag im Büro mit ihren Freunden aus der spirituellen Gruppe Traumfänger bastelt und dabei eine Tasse frisch aufgebrühten Kaipha-Tee trinkt.«
    »Und das zwanzig Seiten lang.« Judith rollt die Augen.
    Priska aber hat ihr Lieblingsthema gefunden und lässt sich durch nichts und niemanden mehr in ihren Ausführungen stoppen. »Eleonore von Pückler-Schmand beweist immer wieder Authentizität. Ihre Figuren sind Abbilder des täglichen Lebens. Liebevoll rückt sie scheinbar unbedeutende Figuren ins Blickfeld des Lesers. Wie etwa die blinde Melkerin, die in einer Esoterik-Buchhandlung in Bottrop arbeitet und über die frühkapitalistische Hirtengesellschaft in Balderschwang monologisiert.« Endlich schnauft Priska durch. Dann wirft sie einen eiligen Blick auf Richards Uhr. »Jetzt habe ich mich mal wieder verplappert.« Sie zuckt kurz mit den Schultern, lächelt, nimmt ebenfalls einen tiefen Zug

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