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Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen

Titel: Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Baehr , Christian Boehm
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»Tante grazie«, meint Luisa und umarmt ihn zum Abschied. Gianni lässt den Motor an, schließt die Tür und braust davon. Wir stehen auf der Straße, neben uns zwei Koffer, und blicken dem Bus nach. Der Himmel über uns ist in Azur getaucht. Alles leuchtet.
    »Und jetzt?«
    »Hier lang.« Luisa deutet auf eine Allee. »Da hinten ist es.«
    Während wir die ungeteerte Straße zur Tenuta, zum Landgut, hinaufmarschieren, schwelgt Luisa in Kindheitserinnerungen. »Wir waren früher jeden Sommer hier.« Die Tenuta gehört dem Bruder ihres Vaters, der nach einem Lottogewinn sein Literaturstudium geschmissen hat, hierherzog, die alte Villa samt Ländereien kaufte, alles hergerichtet und renoviert hat und seitdem Bauer und Winzer ist.
    »Spricht dein Onkel Deutsch?«
    »Un poco.«
    »Und sind wir nicht mehr sauer?«, frage ich vorsichtig.
    »Warum?«
    »Na, weil uns keiner in Florenz abgeholt hat. Wie vereinbart!«
    »Sei doch nicht immer so deutsch.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ist doch alles gut. Wir sind hier. Basta.«
    Es ist wirklich fantastisch hier. Ich fühle mich gleich sauwohl. Das Herrschaftshaus erhebt sich im Zentrum einer Talmulde, umgeben von sanften Hügeln mit Zypressen und Pinien. In dem rundum abfallenden Gelände liegen Weinberge und Olivenhaine. Ein kleines Paradies.
    Luisa
    Am Eingang der in einem zarten Gelb getünchten Villa mit grünen Fensterläden gibt es keine Klingel, nur ein Schäferhund liegt vor der Tür und bewegt sich keinen Millimeter. Der gute alte Beppo. Ich bücke mich zu ihm und streichle seinen Kopf. Beppo leckt mir kurz die Hand. Mehr Aufwand bedeutete wahrscheinlich den plötzlichen Herztod. »Wo ist denn dein Herrchen?«, frage ich den Hund ganz konstruktiv.
    »Wahrscheinlich auf dem Weg nach Florenz«, unkt Mark.
    »Hallo!«, rufe ich durch die Tür.
    »Luisa!!!« Eine kräftige Stimme lässt uns zusammenzucken. Salvo kommt um die Ecke, breitet seine Arme aus und drückt mich fest an sich. Ich höre meine Brustwirbel knacken.
    »Caro zio, das ist Mark, mein Verlobter«, sage ich, ganz wohlerzogenes Mädchen.
    »Marco!«, jubelt Onkel Salvo und umarmt Mark ebenso heftig wie zuvor mich. Die beiden scheinen sich schon mal zu mögen.
    »Piacere«, radebrecht Mark. »Grazie per …«
    »Ick sprecke gute Deutsch«, erklärt Onkel Salvo ähnlich sprachbegabt.
    »Ah«, frohlockt Mark. »Buono.«
    »Äh, Luisa. Schöne Überraschung, aber was mache hier?«, will Salvo wissen.
    »Wir kommen zum Familienfest! Hast du das etwa vergessen?«
    »Familienfeste?« Salvo lacht. »Isse nächste Woche.«
    Mark legt die Stirn in Falten. »Hm. Dann ist mir da wohl ein kleiner Terminfehler unterlaufen. Das kann eigentlich nicht sein.«
    Mir fällt dazu nichts ein. Ich verstehe nur plötzlich, warum in meinem Kalender an diesem Wochenende nichts von einem Familienfest stand.
    Unser Zimmer auf Salvos Landgut ist ein gemütlicher kleiner Raum mit Himmelbett, Sofa, Natursteinboden und weiß getünchten Sichtbalken an der Decke. Aber ich bin nur noch genervt.
    »Es tut mir leid«, entschuldigt Mark sich zum ungefähr zehnten Mal. »Ich war sicher, dass es dieses Wochenende ist.«
    »Dann bleiben wir halt bis nächste Woche.«
    »Luisa, Schatz. Ich habe doch schon gesagt, dass das nicht geht.«
    »Weil dir deine Arbeit wichtiger ist als ich.«
    »Das stimmt nicht. Erstens kommt der Chef nächste Woche, außerdem vier Nasen und acht Paar Brüste. Machen wir uns halt so ein schönes Wochenende. Ohne deine Familie.«
    »Aber deswegen sind wir doch hier.«
    »Lerne ich deine Nonna halt bei der Hochzeit kennen.«
    »Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«
    »Ruf doch deine Verwandten an, dass sie heute Abend zum Essen vorbeischauen«, schlägt Mark schließlich vor. Geniale Idee. Meine Familie ist über das ganze Land verstreut. Aber allmählich erscheint mir der Gedanke ziemlich verlockend, gar nicht alle auf einem Haufen erleben zu müssen. Gerade für Marks Premiere. Zwanzig Mitglieder meiner Familie würden dem stabilsten Gemüt für den Anfang reichen. Mark fängt unterdessen an, sich auszuziehen.
    »Was machst du da?«
    »Ich ziehe mich aus.«
    »Das sehe ich.«
    »Nur schnell in die Badehose. Für den Pool.« Mark schnappt sich seinen Koffer, öffnet den Reißverschluss und klappt ihn auf. Sofort sehe ich, dass etwas nicht stimmen kann: Sämtliche Kleidung und Wäsche darin ist ordentlich zusammengefaltet. Das ist nicht Marks Koffer. Mein Verlobter wühlt sich durch japanische Markenware und zieht

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