Wer ist eigentlich Paul?
soll ich das schaffen, wenn du mir solche SMS schickst? Typisch ist das ja schon. Seit über zwei Wochen habe ich nichts von ihm gehört, habe mich mit Phantasien gequält, die ihn mir in fröhlicher Runde (mit überdurchschnittlich hohem Anteil an Gisèle-Bündchen-Klonen, versteht sich) auf seiner Hütte zeigten. Und kaum beschließe ich, meinem Leiden ein Ende zu setzen und ihn aus meinem Leben zu verbannen, taucht er wieder auf, wenn auch nur in Form von 16 0-Zeichen -Mitteilungen. Haben Männer eigentlich Antennen dafür, wenn Frauen ihnen im Geiste den Rücken zuwenden? Spüren die so etwas? Anyway, mein erster und wichtigster Vorsatz für 2003 hat nicht mal die ersten fünf Stunden überlebt. Im Gegenteil. Ich bin gefangen in Gedanken an meinen blonden Sexgott, an seine wassergrünen Augen, an seine umwerfend sexy Stimme, die mir jedes Mal eine Gänsehaut über den Körper jagt, wenn ich sie höre. Ich kann an nichts anderes denken als an die Art, wie er mich ansieht, wenn wir uns treffen, als sähe er mich zum allerersten Mal, an seinen Blick, wenn er mir zuhört, und an seine Hände, die zittern, wenn sie mir zärtlich die Sonnenbrille aus den Haaren nehmen … Okay. Das wird heute nichts mehr mit dem Vergessen. Ich gebe mich geschlagen, schlafe meinen Rausch aus und träume lebensecht von hemmungslosem, wildem Sex mit Paul.
FREITAG, 3. JANUAR 2003 – DIE FÜNF-MINUTEN-TERRINE
Ich bin ein wenig deprimiert. Dass mein erster Vorsatz – Paul vergessen – nicht umzusetzen war, dafür kann ich immerhin ihn statt meiner selbst verantwortlich machen. In den ersten Nächten des jungen Jahres bombardierte er mich mit sehnsüchtigen, verlangenden und ziemlich heißen SMS. Und ich verbrachte diese Nächte damit, meine 50 Quadratmeter zu durchtigern, mir auf dem Laminat kalte Füße zu holen und mich darin zu üben, so viel Sex und Erotik wie möglich in 160 schwarze Zeichen auf grünem Grund zu packen. Eine ganz neue Spielart war das. Wir trieben es wild, hart und zart, stellten die unglaublichsten Dinge miteinander an, und ich schämte mich kein bisschen! Höchstens dafür, dass Vorsatz eins kläglich gescheitert war.
Und heute, am ersten Freitag des Jahres, passierte das auch mit meinem zweiten Vorsatz. Ich habe vor lauter nächtlichem SM S-Schreiben doch glatt die Öffnungszeiten meines Supermarktes verschlafen. Hungrig sitze ich abends in meiner Wohnung und fahnde im Kühlschrank nach Essbarem. Was könnte man aus dem Vorhandenen zaubern? Heringsfilets mit Erdnussbutter an Paprika-Streichkäse-Ecken? Igitt. Auch wenn die Haltbarkeitsdaten wunderbar miteinander harmonieren würden, liegen sie doch alle im Sommer bis Herbst 2002. In den Schränken das gleiche Trauerspiel. Das Kartoffelpüreepulver aus dem 20. Jahrhundert (gut, so lange ist das noch nicht her!) riecht etwas staubig und ist von der Konsistenz her auch eher klumpig-klebrig, als ich es im Ausguss teste. Die Leicht-und-Cross-Schachtel ist noch originalverschlossen und tatsächlich nicht abgelaufen, aber leider gibt es nichts zum Draufschmieren. Ich überlege, was die findigen Menschen aus den Vorabend-Soaps tun, wenn sie in eine solche Situation geraten. Angenommen, sie sind geradepleite und können deshalb nicht in den «Wilden Mann» oder ins «No Limits» beziehungsweise ins «Daniels» oder den «Fasan» zum Essen gehen. Klar, sie bestellen sich was. Ich hatte doch auch mal so einen Prospekt eines Bringdienstes … Da ist er ja. Mit Bildern sogar. Kurz fällt mir Vronis Eigenheit ein, grundsätzlich nicht in Restaurants zu essen, bei denen die Gerichte auf der Speisekarte abgebildet sind. Dieser Spleen hat damals auf unserem Trip nach Rom dazu geführt, dass ich beinahe verhungert wäre, weil wir an mindestens 17 Lokalen vorbeigehen und die halbe Stadt durchqueren mussten, bis wir endlich – gegen 23 Uhr abends – eine Trattoria ohne naive Malerei fanden … Aber zurück zum Bringdienstprospekt. Mir doch egal, ob da Fotos drin sind oder nicht – ich bin hungrig. «Mindestbestellwert 15 Euro» lese ich und denke, prima, ich habe sowieso keine Kippen mehr. «… ohne Zigaretten», lese ich weiter. Das Leben ist nicht fair. Und zu hungrigen Singles schon gleich dreimal nicht. Was kann ich dafür, dass ich alleine lebe und keinen Partner habe, der für die fehlenden 8 Euro 50 die Ente süß-sauer in sich reinschaufelt? Ich werfe den Prospekt in die Ecke und ziehe eine letzte Küchenschublade auf. Ja, was
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