Wer ist eigentlich Paul?
Kraftausdrücken bezeichnen dürfen. Ferner nehme man ein möglichst unvorteilhaft aufgenommenes Lichtbild des zu Vergessenden und entdecke darauf zahlreiche optische Makel. Sollte es wider Erwarten keine geben, eignen sich Bildbearbeitungsprogramme wie «Caricature» hervorragend zum Verunstalten des eingescannten Bildes.
Störfaktoren: Leibhaftiges Erscheinen des zu Vergessenden in stylisher Kleidung und/oder nach mehrwöchigem Ski- oder Badeurlaub.
c) Die Alkohol-Methode
Aufkommende Gedanken an den zu Vergessenden werden konsequent in Alkohol ertränkt. Kann bei mangelnder Übung allerdings auch die gegenteilige Wirkung haben und die Sehnsucht verstärken. Am besten Testrunde im Beisein guter Freunde durchführen.
Störfaktoren: Leber/innere Organe, Kontostand, Arbeitgeber, Vermieter, wohlmeinende Freunde, Eltern, Sozialamt.
d) Die Aha-Effekt-Methode
Hierbei ist es erlaubt, sich so lange hemmungslos dem durch den zu Vergessenden verursachten Herzschmerz hinzugeben, bis der Stolz, sofern noch vorhanden, aufbegehrt oder man über sich selbst lachen muss.
Störfaktoren: siehe C).
e) Die Justiz-Methode
Man bombardiere den zu Vergessenden so lange und vehement mit Anrufen, SMS, E-Mails , Geschenken, Briefen und ungebetenen Besuchen, bis einem eine einstweilige Verfügung des zuständigen Amtsgerichts verbietet, sich dem zu Vergessenden auf weniger als hundert Meter zu nähern bzw. Kontakt mit ihm aufzunehmen. Mit etwas Glück tritt vorher der Aha-Effekt, siehe D), ein.
Störfaktoren: Vernunft, Stolz, Selbstachtung, Selbstironie, Selbstbewusstsein.
f) Die Einzig Konsequente Methode
Man teile dem zu Vergessenden ruhig und ohne Szene oder Drama mit, dass er aus diversen Gründen (können mündlich oder schriftlich dargelegt werden) den Status eines zu Vergessenden erlangt hat. Man bittet ihn höflich, aber bestimmt und keine Widerrede duldend, sich nie wieder zu melden und sich rückstandslos aus unserem Leben zu entfernen.
Störfaktoren: Diese Methode erfordert ein hohes Maß an Konsequenz, Mut und Format.
Tja, und hier liegt der Hund begraben. Ich, Marie, bin klug, humorvoll, habe Phantasie und Esprit, bin hilfsbereit, mitfühlend, leidenschaftlich, kann zuhören und lieben. Allerdings bin ich leider weder konsequent noch mutig. Ich habe eine Scheißangst davor, Paul zu verlieren. Format gehört nicht zur Serienausstattung meines Charakters. Würde ich Methode F, die EinzigKonsequente Methode, Paul zu vergessen, jemals anwenden, dann nur aus der Hoffnung heraus, Paul würde dadurch aufwachen, sehen, was er im Begriff ist zu verlieren, und mir auf der Stelle einen Heiratsantrag machen. Na ja. Okay. Letzterer muss nicht sein, aber zumindest der Schwur ewiger, bedingungsloser Liebe und Treue wäre nicht schlecht. Hoffnung allerdings ist der ärgste Feind des Vergessens.
Ich werde gleich morgen damit anfangen, Paul zu vergessen.
TEIL II
MITTWOCH, 1. JANUAR 2003 – ZWEI VORSÄTZE
Paul vergessen, das ist mein erster und wichtigster Vorsatz für das Jahr 2003. Mein zweiter Vorsatz, klar, mit dem Rauchen aufhören. Oder nein, streichen wir das wieder. Das verträgt sich nicht mit Vorsatz 1. Ich brauche die Gauloises als Seelenpflaster. Also, Vorsatz Nummer zwei: gesünder ernähren. Als Ausgleich zum Zigaretten- und Pfefferminztalerkonsum, der in der nächsten Zeit exponential ansteigen wird. Gesünder ernähren heißt (immer schön konkret werden, sonst wird das nichts mit den guten Vorsätzen): weniger Süßkram (Pfefferminztaler ausgeschlossen), weniger Fett (zum Glück gibt’s bei Aldi seit neuestem auch fettarme Milchprodukte), mehr Obst und Gemüse, mehr Reis, keine Fertiggerichte, also auch keine 5-Minuten -Terrinen mehr!
Das neue Jahr kann kommen. Ich bin gewappnet. Es wird das Jahr einer selbstbewussten, erfolgreichen, lebensfrohen Marie werden, die sich nicht mehr zum Affen macht wegen eines Typen wie Paul, die keine sehnsüchtigen, bekloppten SMS mehr schreibt, die ihr Handy auch mal für ein paar Stunden aus den Augen lassen kann und ihr Glück nicht von einem Mann abhängig macht.
Kurz nach Mitternacht stehe ich also mit meinen Freunden auf dem Balkon unserer angemieteten Hütte in Kärnten. Ich habe eine Gänsehaut. Nicht von der Kälte, sondern wegen Beethovens Neunter Symphonie, die aus dem Ghettoblaster dröhnt. «Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betretenfeuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum.» Uuuuuaah. Unten im Tal
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