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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Göttlicher
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immer warme Hände, egal, wie kalt es draußen ist. Meinen Taschenofennannte ich ihn früher, wenn wir uns auf grottenschlechten Zweitligafußballspielen den Hintern abfroren und er mich mit seiner Wärme tröstete.
     
    Als ich spät abends in meiner Badewanne liege und den Soundtrack von «Mondscheintarif» höre (perfekte Bademusik), fällt mir auf, dass ich den ganzen Tag fast gar nicht an Paul gedacht habe. Bis jetzt. Ich tappe zu meinem Bett, und das Letzte, was ich mit geschlossenen Augen sehe, ist Pauls Gesicht, die Lachfältchen um seine Augen, kurz bevor er mir etwas Schönes sagt.

DONNERSTAG, 9.   JANUAR 2003 – ALWAYS ON MY MIND
    Das war’s dann wohl mit der Paul-gedankenfreien Zeit. Es hat mich wieder voll erwischt.
    Manchmal fällt mir ein passender Ausdruck für einen Zustand, in dem ich mich befinde, nur auf Englisch ein. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass das Englische einfach die treffenderen Bezeichnungen findet, oder ob einem diese Worte passender erscheinen, weil sie in so vielen Songs vorkommen, die man täglich im Radio hört, und deshalb einfach richtig klingen. Richtiger als ihre deutschen Synonyme.
    Für den Zustand, in dem ich momentan bin, finde ich ebenfalls nur einen englischen Ausdruck: You are always on my mind. You bezieht sich, wie sollte es anders sein, auf Paul.
    Es ist nicht dieses fast schon zwanghafte An-jemanden-Denken, bei dem man sich damit quält, was der andere wohl gerade (ohne einen) macht, ob er lacht oder schläft, isst oder spricht, liebt oder sich ärgert. Ich meine nicht dieses An-jemanden-Denken, bei dem man den anderen in jedem vorbeifahrenden Auto zu sehen vermeint, bei dem man beim Betreten einer Kneipe dieanwesenden Gäste scannt – der, an den man denkt, könnte ja auch hier sein. Ich meine vielmehr   … na, eben dieses «always on my mind»-Gefühl.
     
    Ich weiß nicht, ob nur Frauen das kennen. Ich lebe einen ganz normalen Tag, stehe morgens auf, dusche, koche Kaffee, friere mir beim Rauchen auf dem Balkon die nackten Füße ab, kämpfe beim Haareföhnen mit dem Wirbel an der Stirn, fahre irgendwann ins Büro, weil heute ein Job-Tag ist, mache meine Arbeit, lache mit den Kollegen, esse mittags einen überteuerten Club-Wrap vom Coffeeshop, streiche abends fünf von 18 zu erledigenden Aufgaben auf der heutigen To-do-Liste, bin deswegen ein bisschen deprimiert, rufe meine Freundinnen an, treffe mich mit ihnen in einer Kneipe, esse wie immer das Chicken Saté, weil ich mich nicht entscheiden kann, trinke ein paar Apfelschorle, weil mir die Cocktailauswahl zu verwirrend ist, rauche eine halbe Schachtel Gauloises und falle später erschöpft ins Bett, um beim Auftreffen meines Kopfes auf das Kissen festzustellen, dass ich gar nicht mehr müde bin und eigentlich noch die Wiederholung von «SatC» angucken könnte. Nach dem Vorspann schlafe ich ein und erwache morgens von der nervigen Pro-Sieben-Frühstückssendung. Ein ganz normaler Tag eben. Und den ganzen normalen Tag lang ist Paul «on my mind». In jeder Minute, in jeder Sekunde. Nicht immer im Vordergrund. Oft eher weiter hinten. Aber immer da. Jedes Lied im Radio besingt unsere Geschichte, egal, ob es sich um einen traurigen Single-Song («Feel» von Robbie Williams), um ein glückliches Liebes-Lied («Your Body Is A Wonderland») oder um eine herzzerreißende Liebeskummer-Ballade («Der Weg» von Herbert «das Leben ist nicht fair» Grönemeyer) handelt. Wenn ich in der «Süddeutschen» einen interessanten Artikel lese, diskutiere ich im Geist mit Paul darüber. Wenn das Telefon klingelt, eröffnet das die theoretische Möglichkeit, dass er dran sein könnte. Jede E-Mail oder SMS tut das Gleiche. Dochnichts Konkretes ist nötig, um Gedanken an Paul auszulösen. Er ist einfach immer bei mir. Es ist kein himmlisches Gefühl, es tut aber auch nicht weh oder ist gar lästig. Es ist einfach da. Paul ist einfach da. Immer und überall. Er verfolgt mich nicht, er jagt mich nicht. Er begleitet mich. Manchmal allerdings wird er ein wenig aufdringlich. Dann spielt er sich in den Vordergrund, hindert mich am klaren Denken, am Arbeiten, daran, mein Leben zu leben. Dann sehe ich überall Nummernschilder mit seinen Initialen, entdecke seinen Blondschopf im Leuchtenbergtunnel und zwei Minuten später am Arabellapark. Genau in solchen Momenten spielen sie im Radio gerne eines «unserer» Lieder, die eher
meine
Lieder sind, da er vermutlich nicht mal aufhorcht, wenn er eines davon hört. Nur ich verbinde sie

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