Wer ist eigentlich Paul?
behalten hat. Und vor allem muss ich jetzt aufhören, an Paul zu denken. Der Tag ist viel zu schön, um sich traurige Gedanken zu machen.
Als wir nachmittags nach einem kleinen Abschluss-Willi an der Schneebar zum Auto zurückkehren, geht es mir so weit ganz gut. Ich denke, ich werde es überleben. Irgendwie. Vielleicht muss ich mich langsam damit abfinden, dass Paul mich einfach nicht zur Freundin haben will. Schöne Stunden ab und zu, sensationeller Sex, alles prima – aber bitte keine Verpflichtungen. Sollte ich ihn eventuell einfach mal fragen, warum wir nicht offiziell zusammen sind, warum ich nicht von «meinem Freund» spreche, wenn ich über Paul rede, und warum er mich nicht seine Freundin nennt? Warum wir manchmal so innig sind und er dann wieder wochenlang nichts von sich hören lässt? Warum er mir manchmal Dinge erzählt, die sein bester Freund nicht weiß, und mich dann wieder völlig aus seinem Leben ausschließt? Das wäre das Einfachste. Allerdings könnte ich ihn dadurch auch endgültig vergraulen. Vielleicht braucht er Zeit. Ich weiß so wenig von Paul. Nur Ausschnitte aus seinem Leben. Ich weiß, dass er gerne Fußball spielt, Bier trinkt und in den Bergen Mountainbike fährt. Ich weiß, dass ihm Autos egal sind und dass er gerne gute Bücher liest. Ich kenne ein paar Anekdoten aus seinem Leben, ich weiß, dass er bisher eine längere und einige kurze Beziehungen hatte – aber Näheres weiß ich nicht. Trotzdem meine ich, ihn schon ganz gut zu kennen. Besser, als es eigentlich möglich ist. Und vor allem bin ich wahnsinnig verliebt in ihn.
In ihn? Oder vielleicht doch eher in die Vorstellung, mal wieder richtig verliebt zu sein, jemanden bedingungslos toll zu finden, hemmungslos für einen Mann zu schwärmen und auch von ihm klasse gefunden zu werden? Es ist schon so lange her. Vor sieben Jahren, als ich gerade frisch mit Max zusammen war, fühlte sich das so ähnlich an. Doch mit den Jahren – und vor allem mit dem Zusammenwohnen – veränderte sich dieser Zustand. Ich weiß noch, wie ich nach ungefähr zweieinhalb Jahren feststellte, dass das jetzt wohl Liebe sein müsse. Weil ich meine Zeit immer noch am liebsten mit Max verbrachte, obwohl ich wusste, wie er aussieht, wenn er krank ist oder einen Kater hat. Weil ich mich immer noch jeden Tag darauf freute, mit ihm alleine zu sein, auch wenn wir uns nicht mehr bei jeder Gelegenheit die Klamotten vom Leib rissen und unsere Küsse kürzer wurden. Weil ich immer noch über seine Scherze lachen konnte, obwohl ich in manchen Situationen schon vorher ahnte, was er gleich sagen würde. Ich hatte alles vor mir gesehen. Heiraten mit 28, eine größere Wohnung, vielleicht in einem grünen Vorort, mit 30 das erste Kind, drei Jahre später das zweite. Ich freute mich darauf, und gleichzeitig machte es mir Angst. Sollte das alles gewesen sein? Wollte ich wirklich nie wieder mit einem anderen Mann schlafen, sollte es wirklich nie wieder ein erstes Date geben, einen ersten Kuss, ein erstes Mal? Würden meine Hormone nie wieder Karussell fahren, würde ich nie wieder schlaflose Nächte erleben, Magenschmerzen vor Aufregung, Kreislaufprobleme beim Erhalt einer E-Mail – nie wieder?
All das habe ich jetzt. Mit Paul. Ich glaube, ich habe echt einen an der Klatsche. Denn wonach sehne ich mich wohl jetzt? Nach klaren Aussagen, Sicherheit, Absehbarkeit, nach einer festen Beziehung, nach einer gemeinsamen Wohnung im Grünen. Es geht nicht, Marie, sage ich mir, was du willst, das gibt es nicht. Du zahlst immer einen Preis. Karussell fahrende Hormone und Herzklopfen bezahlst du mit fehlender Sicherheit und mit einerungewissen Zukunft. Und umgekehrt. Auch mit Paul würde irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem dir auffiele, dass er auch nur ein Mensch ist. Du würdest herausfinden, dass er das Tragen von grellfarbenen Fußballtrikots erfolgloser englischer Vereine ziemlich cool findet, dass er bei einem Streit lieber mit seinem Kumpel saufen geht, als mit dir zu diskutieren, oder beim Nachmittagsschlaf auf dem Sofa das Kissen nass sabbert. Er würde dich nerven, wenn du nach einem anstrengenden Tag nach Hause kommst und er dich als Erstes fragt, ob du daran gedacht hast, Klopapier zu kaufen. Du würdest seinen besten Freund Richard und vor allem dessen Freundin Sabine furchtbar finden, und er würde dich irgendwann mal fragen, warum du eigentlich so dick mit Marlene befreundet bist. Nach einiger Zeit würdest du aufhören, deine Tampons in einer
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