Wer ist Martha? (German Edition)
gesteht Habib.
»Auch ich kenne mich in der Geschichte nicht aus«, gibt Lewadski zu. »Eins ist sicher, die Vorurteile stehen uns allen im Weg.« Mit schwungvollem Nicken stimmt Habib Lewadski zu. »Die Vögel sind erdgeschichtlich älter als wir, mehr als wir haben sie das Paradies verdient!« Habib macht eine hilflose Geste mit der Hand. »Da sagt kein grauer Habicht zum feuergoldenen Dreizehenfischer: Du bist mir zu bunt. Nein!«
»Nein«, wiederholt Habib.
»Genau, er frisst ihn einfach wortlos auf, denn es ist die Natur des Habichts. Sein Denken und Handeln sind im Einklang mit dem kosmischen Gesetz, mein lieber Habib.«
»Er frisst ihn auf?«
»Natürlich, und sagt nicht einmal danke. Wem und wozu? Tiere verlieren keine unnötigen Worte, das ist gewiss. Ich zum Beispiel ...«, Lewadski bittet Habib, auf dem Sofa Platz zu nehmen, »ich meinerseits bin kein Vogel. Ich wäre es gerne, doch dann wäre ich wohl nicht in der Lage, die Vorteile meiner Vogelexistenz zu schätzen. Ich wüsste sie zu nützen, doch nicht darüber zu kontemplieren.« Lewadski beugt sich zum steif sitzenden Butler hinüber. »Ich muss Ihnen gestehen, Habib, tief in mir hatte ich, als ich Sie sah, eine Art Unbehagen, ein Vorurteil gegen Ihre dunkle Haut.« Mit einer kargen Geste streut Lewadski Asche auf sein Haupt. Habib blinzelt in hoffnungsvoller Erwartung einer Fortsetzung. »Sie müssen mich verstehen, in der Gegend, aus der ich stamme, sieht man kaum Menschen mit diesem Hautton. Auch ich war es nicht gewohnt ...«
»Sie müssten einen unserer Kellner im Restaurant sehen, der kommt aus Ghana. Das nenne ich schwarz. Dagegen bin ichein Mehlwurm.« Lewadski lacht. »Wir haben gelernt«, Habib kratzt sich durch das Hemd an der Brust, »dass die Neger jetzt Farbige sind.«
»Neger ist so ein schönes Wort!«, empört sich Lewadski.
»Darf man nicht mehr sagen.«
»Unfug, dann müssen die Negerfinken in farbige Finken umbenannt werden, diese Prachtvögel. Was ist dann mit den Zweifarbennegerfinken und den Graunackennegerfinken? Wie sollen sie dann heißen?«
»Die Puriten, oder wie sie heißen«, seufzt Habib.
»Ja, die Puristen, diese Gauner, als gäbe es nichts Besseres zu tun. Fragen Sie mal Ihren Kollegen im Restaurant, oder besser, ich frage ihn selbst, was er vom Wort Farbiger hält.«
»Lieber nicht!«, Habib blinzelt mit den Augen, »es klingt so verletzend.«
»Genau, es klingt verletzend.«
»Ich meine die Frage, sie könnte ihn verletzen ...« Habib presst die Lippen zu einem schmalen Streifen.
»Ach!«, Lewadski fasst sich an die Stirn, »das stimmt. Wir brauchen auch nicht zu fragen, nicht wahr Habib, wir als Menschen kennen selbst die Antwort.« Habib nickt erleichtert. Lewadski fährt fort: »Ihr Kollege aus dem Restaurant, wurde er etwa mit Farbe begossen? Nein. Ist er grün, rot, gelb oder blau? Nein. Er ist schlicht und ergreifend schwarz.«
»Ja«, nickt Habib, »er ist schwarz.«
»Darum«, Lewadski faltet resümierend die Hände, »ist das Wort Neger, von mir aus Schwarzer, treffender. Seit wann, möchte ich wissen, ist Latein abgeschafft? Ist es abgeschafft?«
»Nicht dass ich wüsste!« Habib schüttelt den Kopf.
»Vielleicht ist ja alles eine Frage der Gewöhnung. So wie ich mich an Ihr exotisches Gesicht gewöhnt habe, so werde ichmich eines Tages nicht mehr an dem Wort Farbiger stoßen. Es ist mir alles recht. Nur die falsche Scham und Scheu des Puristenpacks bleiben mir in meinem dünnen Hals stecken. Verstehen Sie mich, Habib?« Habib versteht Lewadski. Ungeduldig rutscht er auf dem Sofa hin und her. »Vielleicht beginnt man, zuerst mit dem Wortschatz gegen die Vorurteile zu kämpfen und erst dann an allen anderen Fronten?« Lewadski schaut durch Habib hindurch und drückt ein Auge zu. »Sie haben sicherlich auch Vorurteile in Ihrer Heimat gegen uns, nicht wahr, Habib? Dass wir weiß und verfressen sind, und vor allem, dass wir gute Ärzte haben und richtig alt werden?« Habib lächelt.
»Weiß und verfressen ist nur ein Bild, so wie schwarz und mit Wüstensand bedeckt. Und das hohe Alter – meine Großmutter ist auch sehr alt geworden«, Habib lächelt breiter, »aber nur weil sie keine guten Ärzte hatte.«
2
ZIMMER / ROOM 202-235
Seltsamer Junge, nun sitzt er in meiner Suite und bügelt meine Hemden, fettet mein Paar Ersatzschuhe ein ... Lewadski drückt auf den ihm vertrauten Liftknopf, der sich im selben Moment in ein korallenfarbenes quadratisches Teufelsauge verwandelt. Gruß aus
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