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Wer ist Martha? (German Edition)

Wer ist Martha? (German Edition)

Titel: Wer ist Martha? (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjana Gaponenko
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Pause sei auf den Namen Lewadski bestellt.
    Sie sind ein Schatz, Habib, will Lewadski sagen. »Sie haben mir einen großen Gefallen getan«, lallt er in den Hörer und legt auf. Meine Güte, kaum zu glauben. Musikverein. Großtanten! Plötzlich läuft es ihm kalt den runden Rücken hinunter. Die Großtanten, was, wenn sie noch am Leben wären! Todesanzeigen hat er niemals erhalten. Ach was, winkt Lewadski in Gedanken ab, sie sind längst hinüber. Beide. Spätestens vor fünfzig Jahren wurden ihre Gräber plattgefahren, um Platz für neue Großtanten zu schaffen. Das Märchen von der ewigen Ruhe will keiner glauben, der sich mal nach einem Friedhofsplatz erkundigt hat. Alles Schikane. Ich werde ihnen im Musikverein nicht begegnen, denkt Lewadski, unschlüssig, ob er traurig oder erleichtert sein soll, aber ein Glas Sekt werde ich auf das Wohl der lieben Toten trinken. Und auf die Mutter, die vor lauter Arbeit kein einziges Mal mitgekommen ist. Die Arme. Auf die Mutter trinke ich später an der Bar.

FLUG PS 819
    NON-STOP
    FLUGZEIT 2 STD.
    Punkt 19 Uhr sieht Lewadski den Silbergriff von Herrn Witzturns Stock auf der Treppe aufblitzen. Seine Schritte sind dumpf auf dem roten Teppichläufer und werden hell auf dem Marmor des Foyers. Lederschuhe, denkt Lewadski und reicht Herrn Witzturn die Hand. »Ich dachte«, scherzt er, »wir würden uns wieder im Aufzug treffen.« Herr Witzturn keucht und lacht, er habe ein bisschen Sport treiben wollen und beschlossen, um zehn vor sieben die Treppe zu nehmen, um pünktlich im Foyer zu sein.
    »Fünf Stockwerke!«, klimpert er mit den wimpernlosen Lidern, als weigere er sich selbst, zu glauben, dass er sie eben bewältigt hat. Lewadski glaubt es auch nicht. Der ist bestimmt im zweiten Stock ausgestiegen und dann zu Fuß gegangen, der alte Angeber.
    »Tüchtig, tüchtig«, lobt Lewadski Herrn Witzturn. »Ihr Zimmer ist also im letzten Stock.« Herr Witzturn nickt und flüstert bedeutungsvoll:
    »Über den Kronen der Bäume!«
    »Dann wollen wir mal«, schlägt Lewadski vor und winkt mit zwei auf schwarzem Glanzpapier gedruckten Karten. Erst nachdem er einem draußen stehenden Doorman mit grauen Schläfen höflich zugenickt hat, fällt Lewadski ein, dass Herr Witzturn eben ihm durch die Drehtür gefolgt ist und nicht umgekehrt. »Um Gottes willen, Herr Witzturn, ich bitte vielmals um Entschuldigung!« Der Mund von Herrn Witzturn ist schief, er versucht, ein Lächeln zu unterdrücken.
    »Man wird nicht jünger«, sagt er hüstelnd, »als alter Mann bin ich es gewohnt, dass die Jugend auf der Überholspur ist.«
    Eine Schar von parfümierten Matronen mit dicken Fußgelenken stöckelt lärmend an den beiden vorbei. »Früher«, erinnert sich Herr Witzturn schwärmerisch, »ging man als Dame mit einer Federboa, stolz und still wie eine Marmorsäule.«
    »Hhm, hhhm«, schmollt Lewadski.
    »Man ließ sich anbeten als eisige Bergspitze«, fuchtelt Herr Witzturn mit der Hand im ledernen Handschuh. Lewadski murrt und schaut ins beleuchtete Fenster des Restaurants, wo er sich gestern am Iberico-Schwein beinahe den Kiefer ausgerenkt hätte. »Dem Eroberer«, überschlägt sich Herr Witzturn, »wurde die Luft oft dünn, und mancher hat sein Leben gelassen bei der Besteigung, nicht wahr.«
    »Das wissen Sie wohl besser, ich war kein Weiberheld«, zuckt Lewadski mit den Schultern.
    »Und diese langen schmachtenden Wimpern, diese doppelten Perlenreihen, diese Spitzbübinnen!«, berauscht sich Herr Witzturn, seine Stimme wird immer zärtlicher, als schmelze eine scharfkantige Bonbonscheibe unter seiner Zunge. »Und jetzt das«, sagt er trocken und deutet miteiner Kopfbewegung auf die davoneilenden Krautstampfer der Matronen.
    »Mögen Sie überhaupt klassische Musik?«, fragt Lewadski beim Überqueren der Straße.
    »Ach!«, ruft Herr Witzturn aus, »ich wollte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken, dass Sie mich heute mitnehmen. Ich liebe Musik.«
    »Wunderbar«, freut sich Lewadski, »ich liebe Musik auch, und Glasunow ist ein ganz Großer. Ein Trinker!« raunt er, so dass sich die beiden vor ihnen laufenden Frauen in Hosen entsetzt umdrehen. »Ein Trinker und Genie!«, fügt Lewadski entschlossen hinzu, »ein ganz großer Russe!«
    »Die beiden Herren weisen uns den Weg«, sagt Herr Witzturn zu den Rücken der Hosenträgerinnen, »da ist wohl der Eingang.«
    »Waren Sie schon mal im Musikverein?«, fragt Lewadski mit Blick auf die Stufen, die er eine nach der anderen nach Kräften elegant

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