Wer Liebe verspricht
Nächten ereignet. Die Grubendecke des Hauptschachts war eingestürzt und hatte einen Nachtwächter mit in die Tiefe gerissen. Als die Rettungsmannschaft den Mann unter den Trümmern entdeckte, war er bereits tot. Man vermutete einen Sabotageakt. Bei den Aufräumungsarbeiten suchte man nach Überresten des Sprengsatzes. Zum Zeitpunkt der Explosion befanden sich keine Arbeiter in der Mine, aber mehrere Zeugen hatten einen Reiter gesehen und erkannt, der den Unglücksort fluchtartig verließ. »Da der Betreffende in Kalkutta wohnt und unter Verdacht steht, für die Explosion verantwortlich zu sein, befindet sich Mr.Barnabus Slocum zur Zeit in Kirtinagar und wird sich von Seiner Hoheit dem Maharadscha Arvind Singh die Erlaubnis geben lassen, an der Untersuchung teilzunehmen.« Die Zeitung zitierte auch die Aussage des Richters: »Fünf Augenzeugen haben den Verdächtigen einwandfrei identifiziert, der unter die Gerichtsbarkeit der Polizeibehörde von Kalkutta fällt. Deshalb ist es nur im Interesse des Maharadscha, wenn wir uns in die Untersuchungen einschalten und ohne Verzögerung Anklage erheben.« Der Rest des Artikels beschäftigte sich mit der Geschichte und der Erschließung der Kohlenmine und gab einige Informationen über den Staat Kirtinagar. Beim Lesen bekam Olivia ein flaues Gefühl im Magen und ihr wurde kalt.
»Ist der Betreffende, der in Kalkutta wohnt«, fragte sie langsam, »der bewußte Raventhorne?« Sie kannte die Antwort bereits.
»Die Zeugen beschwören es.«
»Raventhorne sabotiert die eigene Mine und tötet einen seiner Männer?«
Der sonst so gleichmütige Ransome fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut. »Er hat in Anwesenheit von vielen erklärt, er werde die Mine eher schließen als zulassen, daß auch nur ein Brocken Kohle den Briten in die Hände fällt. Wir wissen, daß es über dieses Thema zwischen ihm und Arvind Singh zu Meinungsverschiedenheiten gekommen ist.«
»Aber Arvind Singh hat das Angebot des Konsortiums bereits abgelehnt«, sagte Olivia kopfschüttelnd. Wie sie diese verwünschte Kohle und alles, was damit zusammenhing, inzwischen haßte!
»Wenn man die Ablehnung genau liest, wird deutlich, daß der Maharadscha bei einem höheren Angebot seine Meinung ändern könnte«, erwiderte Ransome finster.
»In diesem Fall würde Raventhorne etwas dagegen unternehmen, wenn es soweit ist, anstatt den Kohleabbau unnötigerweise jetzt schon zu sabotieren!«
Ransome stand auf und drehte ihr den Rücken zu. »Man weiß, Raventhorne ist launisch, unberechenbar, rachsüchtig – erst recht, wenn Engländer seinen Haß provozieren. Wenn er uns schaden kann, würde er nicht zögern, seine Nase zu opfern. Durch die Explosion hat keiner eine Möglichkeit, an die Kohle zu kommen – zumindest in den nächsten Monaten.« Er füllte sich das Glas noch einmal, vermied es jedoch, Olivia anzusehen.
Seine Erklärungen klangen wenig überzeugend, und Olivias Angst wuchs. »Nein!« rief sie zornig und vergaß alle Vorsicht. »Man erzählt, daß Raventhorne sich auf dem indischen Geldmarkt um Kapital für das Bewässerungsprojekt bemüht. Warum sollte er grundlos einen wertvollen Besitz und seine Freundschaft mit Arvind Singh aufs Spiel setzen? Warum die Gans töten, die für beide Partner und für Kirtinagar goldene Eier legt?«
»Perverse Selbstbefriedigung!« rief Ransome erregt. »Ein Mittel, um an die Versicherungsgelder zu kommen – wer weiß, was in dem Kopf eines Verrückten vorgeht?«
»Kann es ihn auch befriedigen, einen harmlosen Nachtwächter, einen seiner Arbeiter zu töten?« fragte Olivia und lächelte bitter. »Das ergibt keinen Sinn, Mr.Ransome.« Die Sache mit den Versicherungsgeldern war einfach zu absurd, um sie ernst zu nehmen.
»Da haben wir es!« sagte Ransome, drehte sich um und verbarg seine Erregung hinter einem Lächeln. »In diesem Punkt scheint er sich verrechnet zu haben. Er hat offenbar geglaubt, in der Nacht der Versenkungen seien alle, auch der Nachtwächter, mit ihren Familien und Freunden am Fluß.«
»Hat sich die Explosion«, fragte Olivia atemlos, »in der Nacht der Versenkungen ereignet?«
»So steht es in der Zeitung«, murmelte Ransome und deutete auf den Bericht. »Fünf Zeugen, die einander nicht kennen, darunter zwei Engländer, beschwören, gesehen zu haben, wie Raventhorne auf dem berüchtigten schwarzen Hengst den Unglücksort verließ.«
Olivia hatte bereits die Zeitung in der Hand und überzeugte sich von dem Datum.
Dann faltete
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