Wer Liebe verspricht
befürchten war.
Sie betete!
Ihr Vater lehnte fanatische Religiosität und verlogenen Aberglauben ab, aber er hatte sie in dem unbeirrbaren Glauben an die grundsätzliche Güte einer Macht erzogen, die das Schicksal aller Wesen lenkte. Er wetterte gegen die Heuchelei obligatorischer Sonntagsgottesdienste, und obwohl Olivia ihre Tante bereitwillig bei dieser wöchentlichen Pflicht begleitet hatte, blieb ihr wahrer Glaube etwas weniger Offenkundiges, etwas sehr viel Persönlicheres. Olivia dachte, ihr Vater hätte ihr vergeben, wenn er ahnen würde, daß sie die geheimnisvolle Macht nicht mehr für gütig hielt, wenn er die verbrecherische Zerstörung ihres Lebens gekannt hätte. Aber als Freddies gequälte Worte sich glühend heiß in ihr Gewissen einbrannten, gab Olivia die festen Vorsätze auf und wandte sich in egoistischer Verzweiflung an einen Gott, dem sie nicht länger vertraute. Olivia betete darum, Freddie möge ein Sohn geschenkt werden.
Die Tage vergingen. Jai Raventhorne hüllte sich in Schweigen.
Der milde und allzu kurze Winter war vorüber. In Kalkutta wurde es wieder drückend heiß. In den Häusern und den Büros verdoppelten die Männer an den großen Deckenfächern ihre Bemühungen und mußten regelmäßig abgewechselt werden. Aber die feuchte, drückende Luft bewegte sich nur schwerfällig in Kreisen. Selbst die vielen Fliegen in der Stadt schienen träge zu werden und wurden zur leichten Beute der Fliegenklatschen. Nur die Moskitos wurden wie immer weniger, denn sie flohen vor der unerträglichen Hitze.
Da sich nun auch noch das Wetter von der feindseligen Seite zeigte, wurde Olivia schrecklich niedergeschlagen. Trotz ihres herausfordernden und mutigen Auftritts in Raventhornes Büro war ihr Besuch eine reine Kraftverschwendung gewesen. Vielleicht hatte er recht: Sie hatte sich nur lächerlich gemacht. Im Rückblick waren ihre jämmerlichen verbalen Triumphe ohne jede Bedeutung und würden zu nichts führen. Raventhorne war ein aus Fels gehauener Monolith. Die Schicksalsschläge seines Lebens hatten ihn noch härter gemacht, und alberne Pfeile konnten ihm nichts anhaben. Ihre kindischen Angriffe beeindruckten ihn bestimmt nicht. Das unüberlegte Abenteuer hatte ihr nur eine neue Demütigung von einem Mann eingebracht, den sie tollkühn herausgefordert und sich zum Feind gemacht hatte.
Sie hatte ihm einmal halb im Spaß gestanden, sie wünsche nicht, ihn als Feind zu haben – aber genau das hatte sie provoziert! Sie hatte seine Verwundbarkeit falsch eingeschätzt und dadurch ihre eigene Schwäche bloßgestellt. Er würde Farrowsham jetzt noch mehr zusetzen, und als sie an Willie Donaldsons Warnungen dachte, war Olivia tief beschämt. Mißmutig und noch immer sehr aufgebracht, hatte Willie sich nie nach dem Gespräch im Kontor von Trident erkundigt. Auch Arthur Ransome hatte es mit deutlicher Mißbilligung nicht getan. Olivia nahm diese Unterlassungen als das, was damit zum Ausdruck kommen sollte: ein stummer Tadel wegen ihrer ungehörigen Kühnheit. Als eine Art Wiedergutmachung arbeitete sie mit großem Einsatz daran, das Möbel-Projekt in Gang zu bringen.
Lubbock hielt nichts davon, Zeit zu verlieren, wenn ein Geschäft einmal ins Auge gefaßt worden war. Er wohnte inzwischen zu seiner Zufriedenheit in Ransomes Haus. Und auf dem riesigen Gelände herrschte wieder emsiges und geschäftiges Treiben. Im Templewood-Haus fertigten neu eingestellte Zeichner die Pläne für chinesische Möbel an, und Mary Lings Brüder hatten zusammen mit ihrem Vater das Dienstbotengelände in eine Schreinerei verwandelt. Der mittlerweile hellauf begeisterte Lubbock setzte alle Hebel in Bewegung, um schnellstens an die versprochenen Gewinne zu kommen. Die Wirbelwind-Methoden seines Partners machten Ransome nervös und schockierten nicht selten sein ordentliches Buchhalterdenken, aber sie beeindruckten ihn auch. »Keine Angst, Partner«, beruhigte Lubbock den verschreckten Ransome, »ich verspreche Ihnen Geld wie Heu, und das werden Sie bekommen.« Ransome nickte nur.
Lubbocks Vorgehen grenzte wahrhaftig manchmal ans Geniale. Da es an Bord der Schiffe kaum Mobiliar gab, versorgten sich die Passagiere für die langen Reisen mit eigenen Möbeln. Meist übernahmen es die Angestellten der Ostindien-Kompanie, die nötigen Dinge anzufordern, und verdienten als Mittelsmänner dabei nicht wenig. Lubbock einigte sich inoffiziell mit diesen Leuten. Er bot ihnen eine gute Kommission, wenn er kostenlos für alle Passagiere
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