Wer Liebe verspricht
dir alles erklären, wenn es soweit ist. Bis dahin wollen wir keine übereilten Entscheidungen treffen.«
Ransome mußte sich damit zufriedengeben.
Am Abend ging Olivia mit einer Laterne allein in einen der Tresorräume im Keller und öffnete eine große Metallkiste. Sie holte einen großen, schweren in Sackleinen verschnürten Gegenstand heraus. (Wie gut, daß Dr.Humphries sie nicht dabei sah!) Sie löste die Verpackung und legte den Gegenstand auf den Fußboden. Dann setzte sie sich auf einen Hocker, wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete den Gegenstand mit ganzer Aufmerksamkeit. Sie betrachtete sich alle Einzelheiten, staunte wieder über die schlichte Schönheit, die unschuldige Anmut der Linien und über den Geist, der in der Figur steckte. Sie schien etwas Erdhaftes zu verkörpern, etwas Freies und ganz und gar Natürliches.
Hatte sie sich getäuscht? Maß sie den wenigen Worten von Estelle und Ransome zuviel Bedeutung bei? Verließ sie sich zu sehr auf den Instinkt und hatte sich verrechnet?
Aber dann erinnerte Olivia sich an den letzten Blick auf das verwundete und leidende Gesicht beim Verlassen seines Büros. Olivia faßte wieder Mut. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Sie hatte ins Schwarze getroffen, und seine Verwirrung war keine Einbildung gewesen. Olivia zweifelte nicht mehr daran, daß Jai Raventhorne ein neues Angebot für die Daffodil machen werde.
Der Zeitpunkt war gekommen, um die Sache ins Rollen zu bringen.
*
»Ich fürchte, ich habe mich getäuscht«, sagte Olivia am nächsten Morgen zu Arthur Ransome in seinem Büro. »Es wäre töricht, Zeit zu verlieren und auf etwas zu warten, was vielleicht nie kommt. Wenn du möchtest, kann Lubbock mit dem Abwracken des Schiffs beginnen.«
Wenn Ransome über die plötzliche Kehrtwendung staunte, dann war er Gentleman genug, es nicht zu zeigen. Er ließ auch sein wachsendes Mißtrauen hinsichtlich ihrer Motive nicht erkennen. Er sah keine Möglichkeit mehr, Olivias seltsame Methoden zu verstehen, aber er hatte versprochen, ihr zu vertrauen. Allerdings fiel es ihm immer schwerer, der Richtung zu trauen, in die ihre eigenartige Verbissenheit sie zu treiben schien. Natürlich stellte er keine Fragen. Schweigend folgte er ihrem Rat und gab die notwendigen Anweisungen.
Um sechs Uhr am nächsten Morgen machten sich Lubbocks Schreiner an die schwere Aufgabe, die Daffodil zu zerlegen. Das verlassene Schiff lag etwas flußaufwärts am Ufer des Hooghly – ein trauriger Abglanz des ehemals stolzen Flaggschiffes. In einer Drillichhose und ohne Hemd überwachte Lubbock die Arbeiten mit verzweifelten Gesten, Brüllen und höchst anschaulichen Beschimpfungen, die seine Leute glücklicherweise nicht verstanden. Am Ufer versammelten sich neugierige Zuschauer, denn jeder freute sich über ein kostenloses Spektakel, und es kam nicht alle Tage vor, daß ein Teepott ausgeschlachtet wurde. Trotz der beiden Wächter, die Ransome eingestellt hatte, um Vandalismus zu verhüten, war bereits vieles von dem Schiff verschwunden. Selbst jetzt machte sich eine Bande Halbwüchsiger einen Spaß daraus, alles, was nicht niet- und nagelfest und doch verkäuflich war, zu klauen, und die Männer zogen ihnen für diese Frechheit die Ohren lang. Aber trotz des jämmerlichen Zustandes, die Daffodil war noch immer ein stabiles Schiff. Sie hatte den schrecklichen Stürmen im Südchinesischen Meer getrotzt und nahm die Hammer- und Axtschläge der Schreiner ungerührt hin. Lubbock sprang an Deck herum wie ein aufgeregtes Känguruh, fluchte über den langsamen Fortgang der Arbeiten, aber er erreichte damit nur wenig. Die Daffodil ächzte und stöhnte, die Planken zitterten, aber gegen Mittag war noch nicht viel von dem Zerstörungswerk zu sehen.
Ransome saß zusammengesunken in der Nähe auf einem großen Stein und sah schweigend zu. Olivia lief in einiger Entfernung ungeduldig im kühlen Schatten eines Banyanbaums auf und ab. Sie wirkte nicht besorgt, aber man sah deutlich, daß sie unter Spannung stand. Sollte sie wirklich eine große Enttäuschung erleben …?
Nein!
Kurz nach zwei Uhr mittags erschien in großer Eile Ranjan Moitra mit einem Brief. Er war an Arthur Ransome gerichtet und stammte vom Sarkar. Der Brief war kurz und bündig und der Ton beleidigend, aber die Aussage war klar und deutlich: Wenn die Verschrottung der Daffodil unterbrochen werden könnte, war Raventhorne bereit, über ein besseres Angebot für das Schiff zu verhandeln.
Ransome und
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