Wer Liebe verspricht
ließ er ihn suchen. Er beauftragte seine Leute, jeden Winkel in der Stadt und auf dem Land nach Hinweisen über Raventhorne und das Kind zu durchforschen. Keine Spur! Niemand bei Trident wußte etwas über den Verbleib des Sarkar oder wollte etwas wissen. Er war nicht mehr an Bord der Tapti, die noch immer im Hafen lag, und auch nicht in einem seiner Häuser. Man suchte überall, aber die absolute Geheimhaltung erschwerte die Aufgabe der Leute. Kinjal hatte darauf bestanden. Es kursierten bereits zu viele Gerüchte über Olivia; sie jetzt noch mehr bloßzustellen, würde das verwickelte Leben ihrer armen Freundin noch schwieriger machen.
»Er ist mit Amos nach Assam geflohen«, sagte Kinjal. »Niemand kennt die Berge so gut wie Jai. Eine Verfolgung ist hoffnungslos.«
»Wie konnte er nur so herzlos sein?« rief Estelle mit rotgeweinten Augen. Trotz all ihrer Gefühle für ihn, diese Niedertracht würde sie ihrem Halbbruder, den sie bis jetzt immer verteidigt hatte, niemals verzeihen. »Er könnte doch wenigstens eine Nachricht schicken, daß es Amos gutgeht …«
»Er wird dem Kind nichts antun«, erwiderte Kinjal im Bemühen, etwas Tröstliches zu sagen. »Wo immer er Amos verstecken mag, er wird gut für ihn sorgen.«
»Aber wir wissen doch beide, daß es darum nicht geht, Kinjal.« Estelles übermüdete Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Olivia hat jetzt beide Kinder verloren. Und ich habe das alles in Gang gesetzt …« Sie weinte leise.
Kinjal sagte nichts. Was konnte sie auch sagen? Estelle und sie waren in den letzten achtundvierzig Stunden kaum eine Minute von Olivias Seite gewichen. Zwei erfahrene Hebammen aus Kirtinagar hatten Dr.Humphries zur Seite gestanden, der ihre Hilfe dankbar annahm. Mary Ling, die fähige und von Dr.Humphries persönlich ausgebildete Krankenschwester, lief unermüdlich treppauf und treppab, um wichtige Dinge zu holen. Estelle saß neben ihrer Cousine und hielt ihr die Hand und kühlte die heiße, schweißnasse Stirn mit feuchten Taschentüchern. Da Kinjal in Anwesenheit von Männern das Gesicht nicht zeigte, blieb sie verschleiert in einer Ecke des Zimmers und fungierte als Dolmetscherin für die Hebammen. Es war für sie alle eine schreckliche Prüfung gewesen, und Kinjal war ebenfalls den Tränen nahe, als sie und Estelle auf den Arzt warteten, der noch bei seiner Patientin war. Ja, Olivia würde ihre beiden Kinder verlieren.
»Also, mein Fräulein, was sollte der faule Zauber da drin bedeuten?« Dr.Humphries konnte kaum noch auf den Beinen stehen; er verneigte sich vor Kinjal, wartete auf ihre Erlaubnis, sich zu setzen, und durchbohrte Estelle mit einem Blick, der verhieß, er würde nicht mit sich spaßen lassen. Kinjal nickte schnell, und er ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen. »Es ist der Lohn einer Mutter nach stundenlangen Wehen, den ersten Schrei ihres Neugeborenen zu hören! Olivia war ohne Bewußtsein. Warum mußte das Kind mit dieser übertriebenen Eile aus dem Zimmer gebracht werden? Ich bin wütend, äußerst wütend!«
»Olivia war bei Bewußtsein.« Estelle reichte ihm einen großen Cognac, den er mit einem Zug austrank. Sie wischte sich die roten Augen und putzte sich die Nase. Sie sah Kinjal an, die ihr zunickte, und erzählte ihm alles. Es würde ohnehin bald bekanntwerden, daß Olivia ihr Kind nicht behielt.
Dr.Humphries staunte. Er erklärte sofort, in all den vielen Jahren als Arzt habe er noch nie so etwas Ungeheuerliches gehört! »Das Kind ist zu früh geboren! Durch Gottes Gnade ist es ein gesundes Kerlchen. Aber Sie können den Kleinen doch nicht tödlich gefährden, indem Sie ihn nach England verfrachten, nur weil jemand verrückt ist!«
»Er wird nicht ›verfrachtet‹ werden, Dr.Humphries«, versicherte Estelle. »Es wird nichts ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung und Ihren Rat geschehen. Es ist nur Ihnen zu verdanken, daß Olivia noch lebt.«
»Ach Unsinn! Sie ist zäh und hätte auf jeden Fall überlebt.« Aber er fühlte sich doch geschmeichelt. »Also, was haben Sie mit dem Kind vor, wenn mir erlaubt ist, das zu erfahren?«
Estelle erläuterte dem Arzt ihre Pläne, ohne ihm den Grund für Olivias Entscheidung zu nennen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt war das unnötig. Das Baby, so sagte sie, werde in das Haus Ihrer Hoheit in Kaligat gebracht. Mary Ling und die Amme, die bereits aus Kirtinagar eingetroffen waren, würden das Kind unter der persönlichen Aufsicht der Maharani versorgen. »Wir werden die Reise nach England
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