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Wer liest, kommt weiter

Wer liest, kommt weiter

Titel: Wer liest, kommt weiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Denk
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war ja im Alpenverein. Und ohne Krieg hat der Führer das geschafft, rief Herr Brugger. Kein Tropfen Blut geflossen. Einfach genial. Und dein Schlaukopf und Schlappschwanz, was hat er dir hinterlassen? Schulden, nichts als Schulden. [...] Johanns Mutter machte Pschschscht. Sie wollte wohl darauf aufmerksam machen, daß da Johann sitze. Ach was, sagte Herr Brugger, der liest doch. Genau wie sein Alter. Wenn du den anstichst, kommt Tinte raus statt Blut. Den meinen tät ich auf die Mistgabel nehmen, wenn er den Kopf nicht herausbrächte aus den Büchern.
    Johann wird bald auch Schiller und Hölderlin lesen und selbst zu schreiben beginnen, zuerst und vor allem Gedichte. Und indem wir Johanns »Sprachentwicklungsgeschichte« lesen, spüren wir, wie auch unsere Sprache reicher wird. Diesen Gewinn haben wir von jeder Lektüre, ob der eines Buchs oder eines Zeitungsartikels. Denn fast alles Gedruckte ist auf einem höheren Niveau geschrieben als unserem mündlichen Niveau.

    Auch Zeitungslektüre ist Denk- und Sprachtraining
    Meine Schwiegermutter wurde 94 Jahre alt und begann mehr als 50 Jahre lang jeden Tag auf dieselbe Weise: Sie holte die Süddeutsche Zeitung aus dem Briefkasten und las als erstes auf Seite 1 links oben Das Streiflicht. Wäre sie 104 geworden, hätte sie am 14. März 2012 folgendes gelesen:
    (SZ) Der Arzt William Chester Minor war ein blasser, kurzsichtiger Herr mit sandfarbenem Haar und vorstehenden Wangenknochen. Die Räume, in denen er von 1872 an lebte, waren mit Bücherregalen vollgestellt, wobei er die wertvollsten Werke, solche aus dem 16. Jahrhundert, hinter Glas aufgereiht hatte. Er las den lieben langen Tag, und er las zielgerichtet: Minor galt als wichtigster Mitarbeiter des im Entstehen begriffenen »Oxford English Dictionary«, eifriger und akribischer als jeder sonst barg er Wörter und Zitate. »Broadmoor, Crowthorne, Berkshire« gab er als Adresse auf den Briefen an, die er täglich zum Herausgeber Murray schickte. Crowthorne? Das lag nur eine Bahnstunde von Oxford entfernt; warum zum Teufel, fragte sich Murray, ließ sich dieser Minor nicht mal bei ihm blicken? Nach zehn Jahren gedeihlichster Zusammenarbeit machte sich Murray selber auf, und siehe, W C. Minor saß in einer geschlossenen Anstalt. Ein Mörder war er ...
    Die tägliche Lektüre des Streiflichts ist ein fünfminütiges Denk- und Sprachtraining am Küchentisch. Geschrieben von den besten und witzigsten Journalisten, die seit 1946 anonym bleiben, bringt es uns jedes Mal geistig ein wenig voran und höher. Was können wir nicht alles im ersten Drittel dieses Streiflichts lernen: seltene Wörter wie akribisch oder gedeihlich (amerikanische Forscher haben herausgefunden, daß in einer Zeitung unter 1000 Wörtern 68 seltene sind, in Romanen 53, in Kinderbüchern 31, in TV-Shows 23, in studentischen Unterhaltungen 17 und in der Sesamstraße zwei) oder daß das Lesen von Büchern auch im Gefängnis einen Sinn haben kann ...
    Nur weil er hinter Schloss und Riegel saß, konnte er einen solch immensen Beitrag zu dem Wörterbuch leisten [...] – jawohl, der Mensch kann sich richtig angemessen erst dann mit Büchern beschäftigen, wenn er von anderen Menschen getrennt ist, wenn er seine Ruhe hat. Bei uns, die wir noch nicht kriminell geworden sind, ist das meist abends oder nachts der Fall, und darauf reagieren jetzt die ersten Buchläden: Sie schließen nach 20 Uhr eine geringe Anzahl von Kunden für zwei, drei Stunden ein, zum Schmökern, auch zum Essen und Trinken.
    In einer Glosse wie dem Streiflicht darf auch übertrieben werden, wenn sich so eine Verbindung zwischen der Idee einiger Buchhändler und dem berühmten Mitarbeiter des berühmtesten englischen Wörterbuchs herstellen läßt. Und jede Glosse und jeder Artikel in jeder Zeitung ist eine Einladung an die Leser, auf dem Niveau des Textes mitzudenken. Eine gute Zeitung, natürlich auch jedes gutes Buch, ist also so etwas wie ein Privatlehrer, der uns fast gratis unterrichtet. Besser und klüger können wir unsere Freizeit kaum verbringen.
    Deshalb hat Günther Jauch auch in einem Interview mit dem Spiegel (20.3.2009) betont, er habe ein generelles Problem mit Leuten, die stolz darauf sind, dass sie keine Zeitung lesen und sich nur noch online informieren – dabei sind doch Zeitungen notwendig, um an der Kultur und der Gesellschaft teilzuhaben. Allen Schülern und Studenten kann ich nur zurufen: Lest mehr Zeitung!  ... Zeitungen treffen eine Auswahl aus den tausend

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