Wer liest, kommt weiter
Rathauses sah der Schreiber herüber. Sein Blick schien anerkennend.
Dies sind die ersten Sätze. Später »liebte« John Franklin Bücher aller Art. Papier konnte warten und drängte nicht . So ist es.
Im letzten Satz des Romans jedoch ist von einem Photographen die Rede, der eilends seinen Apparat in Stellung brachte , um etwas im Bild festzuhalten.
Das schnelle Festhaltenwollen ist ein Kennzeichen vieler visueller Medien. Das Lesen hingegen lädt uns zum Verweilen ein. Ref 16
Wer liest, lernt sich zu konzentrieren
Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt , schrieb Goethe 1825, als hätte er ein Hauptproblem der heutigen Pädagogik vorausgesehen: die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), auch Hyperkinetische Störung genannt.
Hyperkinetische Störungen , so Manfred Döpfner im ersten Satz seines Lehrbuchs über Hyperkinetische Störungen (2000), stellen zusammen mit den aggressiven Verhaltensstörungen ... die häufigsten psychischen Störungen im Kindesalter dar.
Die Folgen sind für viele Kinder fatal: Die Sprachentwicklung ist verzögert und die expressive Sprachfähigkeit ist teilweise beeinträchtigt. Im Schulalter werden vermehrt Lese-Rechtschreib-Störungen ... angetroffen.
Dabei sind Jungen gegenüber Mädchen deutlich häufiger von der Symptomatik betroffen. Das Verhältnis wird in den meisten Studien zwischen 3:1 und 9:1 angegeben.
Als Ursachen für ADHS werden neurobiologische, neuroanatomische, neurophysiologische und andere Faktoren genannt, während die beliebteste Freizeitbeschäftigung sehr vieler Jungen nur einmal nebenbei erwähnt wird: das Computerspielen.
Aber sind Kinder nicht auch in ein Computerspiel vertieft? Schauen sie nicht auch bei einer Fernsehsendung konzentriert zu? Scheinbar ja. Deshalb sind manche Mütter zunächst auch froh, wenn im Kinderzimmer alles ruhig ist! Die Ruhe kommt jedoch nicht von innen, sondern von einer Art Hypnose.
Das Starren auf eine Fläche mit bewegten Bildern ist jedenfalls etwas anderes als die aufmerksame Lektüre eines Buches oder eines Zeitungsartikels. Lesen ist aktive Aufmerksamkeit.
Dies hat Goethe so formuliert: An Zerstreuung läßt es uns die Welt nicht fehlen; wenn ich lese, will ich mich sammeln.
Deshalb lernen wir beim Lesen immer auch, uns zu konzentrieren, d.h. uns auf ein Wort, einen Satz, einen Gedanken einzulassen, in aller Ruhe hinzusehen, hinzuhören und darüber nachzudenken, kurz: uns in einen Text zu vertiefen.
Lange vor Goethe hat auch Seneca über die Wirkungen der Zerstreutheit und die Bedeutung der Konzentration nachgedacht. Vieles von dem, was er damals geschrieben hat, ist heute noch lesenswert, weil es sich um allgemeingültige Aussagen über den Menschen handelt, also auch über die heutigen Menschen. Im zweiten Brief an Lucilius schreibt er:
Was Du mir schreibst und was ich so von Dir höre, läßt mich auf eine gute Entwicklung Deiner Persönlichkeit hoffen. Du hastest nicht ziellos hin und her und schaffst Dir durch dauernden Ortswechsel keine Unruhe. Zu kranken Gemütern mag diese Art von Geschäftigkeit passen; Hauptmerkmal eines geschulten Verstandes ist meiner Meinung nach die Fähigkeit, einmal haltmachen zu können und bei sich selbst zu verweilen. Achte nun besonders darauf, daß die Lektüre vieler Schriftsteller und verschiedenartiger Bücher nicht zu einer gewissen Flüchtigkeit und Unsicherheit führt.
Das sagt Seneca über die Lektüre verschiedener Bücher. Was würde er über das »Surfen« im Internet sagen?
Wer überall ist, ist nirgends. Wer ständig umherreist, macht die Erfahrung, daß er zwar viele Reisebekanntschaften hat, aber keine wahren Freundschaften. Ebenso ergeht es notwendigerweise denen, die sich keinem geistigen Leitbild vertrauensvoll anschließen wollen, sondern alles so nebenbei und in Eile erledigen. Nahrung, die gleich wieder ausgebrochen wird, nützt nichts und dient dem Körper nicht. Nichts schadet der Gesundheit so sehr wie häufiger Wechsel der Medikamente. Die Wunde, an der viele Mittel ausprobiert werden, vernarbt nicht; die Pflanze, die laufend umgesetzt wird, gedeiht nicht: Kein Mittel wirkt so stark, daß es nur so nebenbei helfen könnte. Ein Zuviel an Büchern verwirrt uns nur. Und da Du nun nicht alles Dir Erreichbare lesen kannst, muß es Dir genügen, soviel zu haben, wie Du auch lesen kannst. ... Lies daher ständig in den bewährten Schriftstellern ...
Zu den bewährten Autoren gehörten damals Platon und Aristoteles, heute gehören
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