Wer liest, kommt weiter
»Pädagogin« entwickelten Sendung wurden alle Tricks der Kinderpsychologie angewendet, um die kleinen Zuschauer zu fesseln. Sie sollen selbst zu Fernsehdickerchen werden: mit einer Antenne im Kopf – immer ans Fernsehen denken! – und einem Bildschirm im Bauch: Fernsehen ist Nahrung! Als ich diese Sendung einmal im Unterricht erwähnte, sprangen blitzartig fünf Schüler auf, wackelten, winkten und schrien verzückt – ganz die Teletubbies. Solche Wirkungen hat der Lehrstoff nie.
Und was ist mit dem Internet, dem »worldwide web«? Netze sind zum Fangen von Fischen da. Und »web« heißt u.a. Spinnennetz. Wer sind da die Spinnen, wer die Fliegen?
Axel Dammler, der Chef von »iconkids & youth«, Institut für »Markt- und Meinungsforschung bei jungen Zielgruppen«, schreibt in seinem Buch Verloren im Netz (2009): Ref 84 , Ref 85
Meine Kollegen und ich sind Konsumforscher, und unsere tägliche Arbeit besteht darin, mit Kindern und Jugendlichen zu sprechen, um deren Bedürfnisse zu verstehen. ... Dahinter steckt die Einsicht, dass der Köder dem Fisch schmecken muss und nicht dem Angler ... Man kann unsere Arbeit natürlich verwerflich finden, weil es ja meistens ›nur‹ um den Konsum von Produkten geht, und – wenn man so will – durchaus auch um die Manipulation von Kindern und jugendlichen.
Worüber soll man sich hier mehr wundern: über die Behauptung, daß es um die »Bedürfnisse« von Kindern gehe, wenn man ihnen Snacks, Drinks, Modeaccessoires oder Computerspiele schmackhaft macht, oder über das Bekenntnis, daß die Kinder geködert und manipuliert werden? Denn Kinder und Jugendliche sind bei weitem die beste »Zielgruppe«.
Immerhin verfügen die 6- bis 19 jährigen in Deutschland pro Jahr über 20,5 Milliarden Euro und geben sogar 22,9 Mrd. Euro aus (Zahlen für 2009, laut »ikonkids & youth«). Auch bestimmen die Kinder oft bei den Einkäufen der Eltern mit.
Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß Apple die Kinder mit aller Macht umwirbt. Gab man bei Google am 15. Mai 2012 um 14.10 Uhr die Begriffe »iPad« und »kids« ein, erhielt man 976 Millionen Treffer, dazu 911 Millionen Fotos, am 23. Juni waren es 2,42 Milliarden, am 9. Oktober 3,09 Milliarden Fotos.
Und doch hat man, wenn man im Netz »surft«, das Gefühl totaler Freiheit, auch deshalb, weil die Startseite von Google werbefrei ist, worauf Roland Reuß in seinem Buch Ende der Hypnose aufmerksam macht. Dabei lebt Google fast nur von Werbeeinnahmen. Ihr Anteil am Umsatz beträgt, so Constanze Kurz und Frank Rieger, weit über neunzig Prozent, auch weil seit Ende 2009 die Ergebnisse jeder Google-Recherche personalisiert, also auf den potentiellen Kunden und Konsumenten zugeschnitten sind, was Eli Pariser in seinem Buch Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden (2011) analysiert hat.
Wie kann man die Kinder vor solchen Raffinessen schützen?
Leider scheinen manche Wissenschaftler und Politiker bei dieser Frage eher den Anglern zu helfen. Ref 86
29. Die Rolle der Autoritäten
Im vorigen Kapitel ging es um Firmen und Konzerne, auch um Menschen, die davon profitieren, wenn wir uns möglichst lang mit visuellen Medien beschäftigen und deshalb immer weniger Zeit für das Lesen haben. Deshalb lernen auch viele Kinder das Lesen nicht mehr richtig oder nicht mehr so gut und bleiben dann hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Was sagen dazu die nicht direkt beteiligten Autoritäten? Was sagen die Wissenschaftler, die Kirchen und die Politiker sowie die Schriftsteller zum Thema Lesen und visuelle Medien?
Die Beiträge der Wissenschaften und der Kirchen
Unter den zahllosen Büchern zum Thema Lesen lassen sich historische, philologische, philosophische, soziologische, pädagogische, psychologische und theologische Bücher unterscheiden.
Die historischen Bücher können so interessant sein wie die Geschichte des deutschen Buchhandels (1991) von Reinhard Wittmann oder Eine Geschichte des Lesens (1998) von Alberto Manguel.
Gute philologische Bücher über Autoren und ihre Werke sind Einladungen zur Lektüre, ich nenne hier dankbar die Gelehrten, die uns und unsere Schüler in Weilheim zum Lesen ermuntert haben: Dieter Borchmeyer, Ulrich Dittmann, Heinz Friedrich, Wolfgang Frühwald, Joachim Kaiser, Hans Maier, Norbert Miller, Peter Horst Neumann, Hans Pörnbacher, Harald Weinrich und Reinhard Wittmann.
Philosophische Texte über das Lesen sind selten, aber dann bisweilen so lesenswert wie das Buch Was ist Literatur? von
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