Wer liest, kommt weiter
PC-Erfahrungen. Die Gruppe der Onlinesexsüchtigen besteht ausschließlich aus Männern. Bei den Chatsüchtigen finden sich überwiegend Mädchen und Frauen.
Mit den Internet-Süchtigen gibt es freilich zwei gravierende Probleme, auf die der koreanische Psychologe Jung-Hye Kwon in seinem Beitrag zu dem von Kimberly S. Young herausgegebenen Band über Internet Addiction. A Handbook and Guide to Evaluation and Treatment (2011) aufmerksam macht:
Süchtige neigen dazu, ihre Probleme zu bestreiten; ein befreundeter Jugendpsychologe behauptet, Süchtige gäben etwa 10 bis 20 Prozent zu. Und Internet-Süchte sind besonders schwer zu behandeln und mit einer hohen Rückfallrate verbunden, weil das Internet uns überall und jederzeit umgibt.
Schließlich die Kirchen, die früher in fast allen Bereichen eine hohe Autorität beanspruchten und hatten – welchen Rat geben sie den Eltern und Erziehern zur Medienerziehung der Kinder?
Merkwürdigerweise hat sich die Theologie in den letzten Jahrzehnten nur wenig mit dem Lesen beschäftigt, obwohl die Religion, wie im 19. Kapitel dargestellt, von der Abkehr vom Hören und Lesen direkt betroffen ist. Auch scheinen die Kirchen beim Thema Medien seltsam naiv.
Dafür nur ein Beispiel. 2011 erschien eine Nummer der katholischen Zeitschrift Communio zum Thema »Virtuelle Welten«. Die Herausgeberin dieses Hefts schrieb im »Editorial«:
Die meisten der teils dramatischen Gefahren, die der cyberspace birgt (Datenmissbrauch, digitale Sucht, Cyber-Mobbing und -Stalking, Gewaltdarstellungen), sind verhaltensbasiert. Der entscheidende Risikofaktor nicht nur der technischen, sondern auch der virtuellen Welt ist der Mensch, der sich in ihr bewegt. Er ist aber auch der entscheidende Faktor, wenn es darum geht, die vielfältigen Möglichkeiten der cyberworld, ihre sozialen und kommunikativen Chancen in guter Weise zu nutzen ... Wer also in der virtuellen Welt versackt, ist selber schuld! Das hören die »Netzfischer« gern. Um wie viel klüger waren die Bücher und Aufsätze von Ludwig Muth, zum Beispiel Glauben durch Lesen? Für eine christliche Lesekultur (1990) und: Glück, das sich entziffern läßt. Vom Urmedium des Glaubens (1992).
Was aber sagen die Politiker zu diesen Problemen? Ref 88
Die Rolle der Politiker
Politiker wollen gewählt werden und sind deshalb auf die Medien angewiesen. Deshalb kann man kaum von ihnen erwarten, daß sie die Medien kritisieren. Eher tun sie das Gegenteil.
Sehr folgenreich war zum Beispiel die Gründung des Vereins Schulen ans Netz im April 1996 durch das Bundesbildungsministerium und die Deutsche Telekom, um die Schulen in Deutschland mit kostenlosem Internetzugang auszustatten. Warum? Weil seit Mitte der 90er Jahre behauptet wurde, es gebe einen »digital gap«, eine Kluft zwischen den wenigen Glücklichen mit Internet-Zugang und den vielen Rückständigen.
Der Hauptgrund aber war kommerziell. Die Deutsche Telekom war bis zu ihrem Börsengang Ende 1996 Staatseigentum. Nicht nur ihr damaliger Chef Ron Sommer sah in den Schulen den riesigen Markt für Computer und Computernetze und Millionen künftiger Kunden: die Schüler. Die Rechnung ging auf. 2001 waren alle deutschen Schulen am Netz und – im Netz, was Petra Gerster und Christian Nürnberger in ihrem Buch Der Erziehungsnotstand (2001) genauestens analysiert haben:
Nicht um Aufklärung, Politik und sachliche Information geht’s im Netz, sondern um Verkauf und Anmache.
Das Internet löst ein Problem, das wir gar nicht haben, nämlich Informationsmangel, und schafft ein Problem, das wir ohne Internet nicht hätten, nämlich Informationsüberflutung.
Im selben Jahr 2001 publizierte das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die Broschüre Im Internet geht’s weiter. Auf dem Titelfoto war ein etwa Zehnjähriger zu sehen, der versucht, auf einer Leiter über eine Mauer zu schauen. Denn das eigentliche Leben ist drüben: im Internet!
Ein drittes Beispiel: Im Vorwort zur großformatigen Eltern-Broschüre Ein Netz für Kinder (2010) singt Familienministerin Dr. Christina Schröder das Lob des Internets: Ref 89
Das Internet hat für Kinder einen großen Reiz. Kinder können sich dort treffen, kommunizieren, miteinander spielen und lernen. Von Generation zu Generation wird es selbstverständlicher, sich im Internet zu bewegen. Drei Ungenauigkeiten in drei Sätzen: Das Internet hat für Kinder erst dann einen Reiz, wenn man ihnen zeigt, was es da an Reizen gibt. Daß man
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