Wer liest, kommt weiter
sports), für die man komplizierte Geräte (elaborate apparatus) und außerdem Transportmittel benötige.
Die heutigen Kinder brauchen keine Elektroschocks, bei ihnen reichen diverse elektronische Geräte, um die Liebe zu den Büchern und zur Natur zu verhindern oder zu vermindern.
Lesen kann übrigens im ganzen Roman nur John, der »Wilde«. Seine Mutter Linda, die ihm das Lesen beigebracht hat, stirbt in einer Sterbeklinik, in der an jedem Bett das Fernsehen Tag und Nacht läuft. Und John bringt sich am Ende um, weil er tagelang heimlich gefilmt wurde. Heute sind heimliche Filmaufnahmen mit dem Handy keine Ausnahme mehr. Ref 93
Auch in George Orwells Roman 1984 (1949) spielen das Fernsehen und die Literatur eine bedeutende Rolle. Der »Televisor«, der »telescreen«, ist freilich nicht zur Unterhaltung, sondern zur Kontrolle da: Big Brother is watching you (eine ähnliche Kontrolle ist heute im Internet Realität). Und in der staatlichen Literatur-Abteilung wird heimlich Pornographie produziert, um die Arbeiterklasse ruhig zu stellen. Für 2050, aber vermutlich schon früher, ist geplant: Die gesamte Literatur der Vergangenheit wird vernichtet worden sein.
Diese Voraussage könnte sich auf paradoxe Weise bewahrheiten, wenn alle Literatur digitalisiert ist, aber kaum mehr gelesen wird und dann alle Bücher überflüssig scheinen.
Ray Bradbury schließlich macht in Fahrenheit 451 (1953) das Schicksal der Menschheit vom Schicksal der Bücher abhängig.
Guy Montag ist ein Feuerwehrmann, der sich nicht daran gewöhnt hat, daß die Feuerwehr nur dazu da ist, um mit Flammenwerfern die noch vorhandenen Bücher zu verbrennen: Papier brennt bei 451 Grad Fahrenheit, das sind 233 Grad Celsius.
Eines Abends lernt er die 17jährige Clarisse kennen, die sich als »crazy« bezeichnet, weil sie am liebsten zu Fuß geht. Sie bedauert, daß die Autofahrer so wenig sehen: Manchmal glaube ich, die Autofahrer wissen überhaupt nicht, was das ist, Gras, oder Blumen, weil sie nie langsam daran vorbeikommen. ...
Zuhause liegt seine Frau wie jede Nacht schlaflos auf dem Bett mit Radiostöpseln im Ohr. Sonst sitzt sie im Wohnzimmer mit drei Fernsehwänden und schaut pausenlos fern.
Auch Montags Chef Captain Beatty preist in einer Rede eine Welt ohne Bücher und voller Unterhaltung:
»Dann im 20. Jahrhundert wird die Zeit gerafft. Bücher werden gekürzt. Abriss, Überblick, Zusammenfassung, das Beste in Bildern. [...] Mehr Sport für jedermann, Jubel, Trubel und Gemeinschaftsgefühl, und man braucht nicht mehr zu denken, wie? Veranstalte und veranstalte und überveranstalte immer mehr sportliche Großveranstaltungen. Immer mehr Cartoons in Buchform, immer mehr Filme. Der Geist nimmt immer weniger auf. ... Ref 94
Her mit den Clubs und Festen, den Akrobaten und Zauberkünstlern, den Rennwagen und Hubschraubern, her mit Sex und Drogen, mit allem, was automatische Reflexe auslöst. Wenn das Theaterstück schlecht ist, der Film schwach, das Hörspiel nichtssagend, dreh die Lautstärke höher. Ich bilde mir dann ein, ich hätte was von dem Stück, wo ich doch bloß vom Schall erschüttert bin. Mir ist es egal, ich will einfach nur unterhalten werden.«
Mit diesen Worten endet Beattys Vortrag. Trotzdem wird Montag noch skeptischer, vor allem als er den ehemaligen Literaturprofessor Faber kennenlernt und ihm zuhört:
»Aber wir haben doch eine Menge Freizeit.«
»Freizeit, ja. Aber Zeit, um nachzudenken? Wenn man nicht mit hundertfünfzig an Klippen entlangrast und man an nichts als an die Lebensgefahr zu denken vermag, dann treibt man irgendeinen Sport oder sitzt in seinen vier Fernsehwänden, mit denen sich schlecht streiten lässt. Warum? Das Fernsehen ist ›Wirklichkeit ‹, es drängt sich auf, es hat Dimensionen. Es bleut einem ein, was man zu denken hat. ...«
»Meine Frau behauptet, Bücher hätten keine Wirklichkeit.«
»Gott sei Dank, man kann sie zumachen, kann sagen ›wart einen Augenblick‹. Man gebietet unumschränkt über sie. Wer hingegen hat sich je vom Fernsehzimmer losreißen können, wenn er einmal in seine Umklammerung geraten ist? Es macht aus einem, was ihm gefällt. ...«
Wie kann es sein, daß dieser Roman 50 Jahre lang als Roman gegen die Zensur der McCarthy-Ära gelesen wurde? Immerhin betonte Ray Bradbury in einem Interview mit den Los Angeles Weekly News noch am 30. Mai 2007: Fahrenheit 451 ist nicht eine Geschichte über staatliche Zensur. ... Es ist vielmehr eine Geschichte darüber, wie das
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