Wer Mit Schuld Beladen Ist
Posten, nicht im Weg, doch nah genug, um mit ihrer Gastgeberin zu reden. »Sieht aus, als hätten Sie eine rührige Familie.«
»Der Eindruck trügt nicht.« Vicki stellte einen Litermessbecher mit Wasser in die Mikrowelle. »Mein Jüngster ist bei den Pfadfindern, trainiert Fußball und Karate und spielt in einer Band. Mein Mädchen ist Cheerleader bei der Juniormannschaft der Schule, betreibt Kunstturnen und spielt in einer anderen Band.« Sie riss einen Beutel löslichen Kakao auf und schüttete den Inhalt in einen Becher. »Gott sei Dank lässt Aaron es mittlerweile etwas langsamer angehen. Bei ihm ist es nur Karate und Gitarrenunterricht. Was ich ganz in Ordnung finde. Ich will, dass seine Noten in seinem letzten Schuljahr ein bisschen besser werden.«
»Die Vertrauenslehrerin sagt, er will sich zum Militärdienst melden?«
Die Mikrowelle klingelte. Vicki zögerte, die Hand an der Tür. »Sie haben mit seiner Vertrauenslehrerin gesprochen?«
»Nicht speziell über Aaron, nein. Sie war dabei, als wir mit Quinn Tracey geredet haben.«
»Aha. Das erklärt einiges.« Vicki nahm vorsichtig das heiße Wasser heraus, schüttete ein wenig in den Becher und rührte um. »Ja, Aaron ist ziemlich scharf darauf, einzutreten. Armee oder Marine. Als er letzten Monat achtzehn wurde, hätten wir ihn fast fesseln müssen. Er musste uns versprechen, dass er den Schulabschluss macht.« Sie reichte Clare den Becher. »Vorsicht, heiß. Aaron glaubt natürlich, Muskeln und Kampfgeist wären genug. Ich sage ihm dauernd, dass die Armee heutzutage schlaue Jungs sucht, Jungs, die sie ausbilden kann.«
»Stimmt«, erwiderte Clare, die auf den Kakao pustete, um ihn abzukühlen. Sie fügte nicht hinzu, dass es trotzdem noch jede Menge Plätze für junge Männer gab, die außer Muskeln und Kampfgeist nichts mitbrachten. Bedarf für Jungs mit mehr Muskeln als Verstand würde es immer geben. »Als ich Quinn Tracey erwähnt habe, sagten Sie, das würde einiges erklären.«
Vicki schenkte sich selbst einen Becher ein. »Quinn ist ein Schatz, aber ich glaube, er sagt nicht mal buh, ohne dass Aaron ihm hilft. Möchten Sie sich setzen?«
Clare folgte ihr zum Tisch. »Wie meinen Sie das?«
»Die Traceys zogen hierher, als Quinn in der zehnten Klasse war. Das kann ziemlich schwierig sein. Die meisten Kinder kennen sich schon, seit sie im Kindergarten zusammen mit Fingerfarben gemalt haben. Aaron nahm ihn gewissermaßen unter seine Fittiche, stellte ihn seinen Freunden vor, sorgte dafür, dass er kein Außenseiter blieb.« Sie nippte an ihrem Kakao. »Mittlerweile sind sie seit drei Jahren Kumpel. Doch sehen Sie, Aaron gehörte schon immer zu den Kindern, mit denen andere Kinder gern zusammen sind. Er hat viele Freunde. Quinn dagegen hat Aaron.«
»Hat er denn keine anderen Freunde gefunden?«
»Das ist es nicht. Eher – ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ein paar Jungen treffen sich und hängen bei Quinn daheim ab. Doch sobald Aaron geht, gehen alle anderen auch.«
»Aaron besucht Tracey zu Hause?«
»Sicher. Ich meine, im Sommer sind sie hier bei uns, doch die Traceys haben bei schlechtem Wetter wesentlich mehr Platz als wir. Und Quinns Mutter hat immer Limo und Pizza und Knabberzeug für sie. Wie sie das schafft, ohne ihr Budget zu überziehen, weiß ich auch nicht. Ich habe genug Probleme, einen Teenager satt zu kriegen, geschweige denn fünf oder sechs.«
Clare schüttelte den Kopf. »Quinn hat uns erzählt, seine Eltern wollten nicht, dass er sich mit Aaron trifft.«
Vicki lachte. »Nun, wenn das der Fall sein sollte, haben sie es aber ziemlich gut vor uns verborgen.«
Von draußen hörte man Zischen und ein Scheppern, dann wurde ein Motor hochgejagt und entfernte sich. Die Garagentore zitterten in ihren Angeln und ließen die Küche vibrieren.
»Da sind die Kinder.«
Die Küchentür sprang auf, und Clare erhaschte einen kurzen Blick auf den Vorraum dahinter, ehe ein junger Mann eintrat, der sich bereits von Stiefeln und Jacke befreit hatte. Aaron MacEntyre, nahm Clare an. Er sah aus wie der geborene Karateschüler: nicht zu groß, aber kräftig gebaut. Dunkles Haar und dunkle Augen, die Wangen von der Kälte gerötet.
»Hey, Mom«, grüßte er mit einem flüchtigen Blick auf Clare.
»Hey, Babe. Hattest du einen schönen Tag?«
»Ich hab ’ne zwei plus in der Mathearbeit.«
»Gut gemacht!« Ein zehn oder elf Jahre altes Mädchen tänzelte durch die Tür. Sie hatte die gleichen hellen und dunklen Schneewittchen-Farben wie ihr
Weitere Kostenlose Bücher