Wer nach den Sternen greift
vielleicht auch nicht an, weil ja ihr Mann dabei ist. Soll ich ihn ein oder zwei Stunden lang ablenken?«
»Du bist ein Luder, aber das weißt du, oder? Ein echtes Luder, meine Liebe.«
»Kennst du ihren Mann?«
»Ich bin ihm häufig begegnet.«
»Warum soll denn dann Mrs. Palmerton nicht auch deine Frau kennenlernen? Sie ist bestimmt ebenso neugierig auf mich wie ich auf sie.«
»Wie hast du herausgefunden, wer sie ist?«
»Deine Mutter hat es mir gesagt.«
»Meine Mutter?« Oliver versagte die Stimme.
»Entschuldige mich jetzt, Oliver, ich habe zu tun.«
Im Wohnzimmer der Familie brannte ein Feuer im Kamin. Clarissa saß im Sessel und schaute zu, wie Alex den Weihnachtsbaum schmückte, der auf ihrem eigenen Besitz geschlagen worden war.
Beide Kinder waren bei ihnen, Hugh in seinem Laufställchen und Lina in ihrem Körbchen. Alex hatte das Schmücken des Baumes nicht den Dienstboten überlassen wollen und stand jetzt auf einer Leiter, um die letzten Kugeln an die oberen Zweige zu hängen.
»Es sieht perfekt aus«, erklärte Clarissa. »Noch mehr wäre zu viel.«
Alex liebte den Christbaumschmuck, der schon seit Generationen in der Familie war und zum Teil noch von Clarissas deutscher Großmutter stammte.
»Als ich ein kleines Mädchen war«, erzählte sie Alex, während sie ihr die schimmernden Kugeln reichte, »fuhr meine Großmutter jeden Sommer mit mir nach Deutschland, um ihre Verwandten zu besuchen. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen, aber ich schreibe ihnen jedes Jahr zu Weihnachten. Während des Krieges ist es mir sehr schwergefallen, sie als Feinde zu betrachten. Diese lieben Menschen, die ich jedes Jahr in München besuchte, waren keine Feinde. Es war eine wunderschöne Zeit bei ihnen.«
Sie verbrachten einen gemütlichen Nachmittag mit dem Schmücken des Baumes, tranken Tee und schwatzten dabei. Der Baum war nicht annähernd so groß oder so prächtig wie der, den sie auf der Fifth Avenue immer gehabt hatten, aber Alex fand ihn wunderschön. Es war
ihr
Baum.
Sie warf Clarissa einen Blick zu und sagte: »Weißt du, ich fühle mich dir viel näher als meiner Mutter.«
Clarissa blinzelte und lächelte gerührt. »Und du, meine Liebe, bist die Tochter, die ich nie gehabt habe.«
In diesem Moment trat der Herzog ins Zimmer, die Arme mit Geschenken beladen.
»Es sieht so aus, als ob es schneien würde«, sagte er und legte seine Päckchen unter den Baum.
»Oh, hoffentlich nicht«, erwiderte Clarissa. »Das würde die Jagd ruinieren.«
»Ich habe sowieso seit Monaten nicht mehr auf einem Pferd gesessen. Nun, auf jeden Fall ist es sehr kalt.« Er zog seinen Mantel aus und warf ihn über einen Sessel. Geräuschlos trat Reginald ins Zimmer und räumte Mantel, Hut und Schal des Herzogs weg.
»Möchtest du Tee?«, fragte Clarissa und wies auf die bereits geleerte Teekanne. Schon stand ein Diener im Zimmer und brachte frischen Tee.
Alex sagte: »Ich gehe Scully holen, damit wir mit der Bescherung beginnen können.«
Sie warf sich einen Umhang um und trat in den grauen Nachmittag hinaus. Es ging kein Wind, aber es war schneidend kalt. Der Dezember war manchmal der kälteste Monat im Jahr.
Einer der Hunde kam angesprungen und lief neben ihr her. Sie tätschelte ihm den Kopf. In Scullys Büro brannte bereits Licht, weil es um diese Tageszeit schon langsam dunkel wurde. Sie stieg die Treppe hinauf und klopfte.
»Das ist ja eine Freude«, sagte Scully. »Kommen Sie ins Warme.«
»Ja, es ist wirklich sehr kalt«, erwiderte Alex. »Ich wollte Sie abholen.«
»Mich abholen?«
»Nun, Oliver und der Herzog sind zu Hause, und ich habe niemanden, mit dem ich mich unterhalten kann. Alle reden sie nur von der Jagd und von Pferden.«
Scully lachte. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Sie Probleme haben, sich mit jemandem zu unterhalten.«
»Nur mit meinem Mann und meinem Schwiegervater.«
Neugierig blickte sie auf ein aufgeschlagenes Buch, das auf dem Tisch lag. »Haben Sie gerade gelesen?«
»Ja. Was soll man an einem so kalten, grauen Nachmittag am Tag vor Weihnachten denn anderes machen?«
»Und was lesen Sie?«
»Eine Biographie über Nikolaus und Alexandra.«
»Über Russland?«
»Ja. Über eine Frau mit Ihrem Namen.«
»Nun, markieren Sie die Seite und kommen Sie mit mir. Es gibt gleich Cocktails. Scully, ich bin so nervös. Wir haben hier noch nie eine Einladung gegeben. Die Leute werden mich genau unter die Lupe nehmen. Was, wenn sie mich nicht akzeptieren?«
»Meine
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