Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
herausgeschmettert hatten, nahm ich meinen Mut zusammen und stand auf. Am besten brachte ich es so schnell wie möglich hinter mich.
Matt klatschte mir auf den Hintern. »Los, zeig’s ihnen!«
Doch dann – lief irgendwas falsch. Auf dem Bildschirm erschien der Titel »Creep« von Radiohead. Das war nicht mein Song.
»Das ist mein Song!«, rief Matt und stand überrascht auf. »Tut mir leid, Süße. Als ich deinen Code gelöscht und neu eingegeben habe, muss ich wohl die Reihenfolge vertauscht haben.« Er zuckte entschuldigend die Schultern und eilte auf die Bühne, um von Chris und Cub das Mikrofon entgegenzunehmen. Die beiden blickten ihn verdutzt an.
»Was ist denn jetzt?«, fragte Chris, als er sich mit Cub wieder zu mir setzte. »Ich dachte, du kommst gleich nach uns.«
»Matt hat versehentlich die Reihenfolge unserer Songs vertauscht«, erklärte ich nervös. »Jetzt singt er vor mir statt nach mir.«
Matt trat ins Rampenlicht und lächelte das Publikum lässig an. Der geborene Entertainer. »Hallo, Leute, wie geht’s euch so? Hört mal, ich brauche ein bisschen Unterstützung für meinen Song. Kann wohl ein Freiwilliger auf die Bühne kommen und mir aushelfen?«
»Ich!«, rief der Typ aus Cabaret und schoss zur Bühne, wo er gierig nach dem zweiten Mikro griff. Die ersten seufzenden Gitarrentöne füllten den Saal. Und ich verlor das letzte bisschen Hoffnung, dass Matt sich um meinetwillen ein wenig zurücknehmen würde, als er gefühlvoll die ersten Takte sang und es schlagartig still im Lokal wurde. Der Cabaret -Typ stimmte wenige Sekunden später mit seinem wirklich wunderschönen Tenor ein. Die beiden waren unglaublich.
»Ich fass es nicht!«, sagte ich entgeistert zu Chris. »Schon wieder dasselbe – ich muss nach einem Abräumer auftreten!«
»Und dann bringt er auch noch einen Schwulen zur Unterstützung mit auf die Bühne«, keuchte Chris. »Das ist echt nicht korrekt von ihm.«
Den restlichen Song versuchte ich, nicht allzu wütend auf Matt zu werden. Und dann … donnernder Applaus. Ich war dran. Als er mir das Mikro reichte, sah ich ihn gar nicht an. Ich hatte zu viel Angst vor dem, was ich mit dem Mikro anstellen könnte, wenn ich ihn ansah. Stattdessen stieß ich durch die zusammengebissenen Zähne hervor: »Danke. Schatz.«
Ich hatte mir für mein Karaoke-Debüt den Salt’N’Pepa-Song »Shoop« ausgesucht, einen Rapsong aus meiner Schulzeit. Ich blickte ins Publikum, ohne die Leute richtig zu sehen. Als die Musik einsetzte, klatschten die Drama Queens verhalten und wippten im Takt, um zu zeigen, dass ihnen meine Wahl gefiel.
Ich atmete tief ein und begann:
» Here I go! Here I go! Here I go again! Girls, what’s my weakness? «
» Men! «, riefen die Drama Queens.
» Okay then «, fuhr ich fort. » Chillin’ chillin’, mindin’ my bidness. Yo Salt, I looked around and I couldn’t believe this …«
Die Musik war so laut, dass ich meine Stimme aus den Lautsprechern gar nicht hörte. Ich hörte ja nicht mal, wie die Worte aus meinem Mund kamen, was mich im ersten Moment total verunsicherte. Aber bald war ich voll im Gange, sang beide Parts meines Duetts selbst, brachte nahtlose Übergänge zustande und sang eine Oktave tiefer oder höher, je nachdem, ob Salt oder Pepa dran war. Außerdem bewegte ich mich, wie es sich gehört, streckte meinen freien Arm steif nach vorne und wedelte damit durch die Luft wie ein Hip-Hop-Sänger. Ein bisschen mit den Hüften kreisen. Ich ging richtig ab, hatte die Sache voll im Griff! Ich sang sogar die Stelle, an der irgendein Typ eindringlich die Fellatio befürwortet. Ach du Scheiße – in der Karaoke-Version kam diese Zeile prompt nicht vor! Rauszensiert. Da hatte ich es etwas zu gut gemeint, und jetzt hinkte ich mit meiner Strophe hinterher! Ich hörte auf mit meinem Getanze und starrte angestrengt auf den Bildschirm, stolperte durch die Worte und versuchte, meine Stimme wiederzufinden.
Und jetzt konnte ich mich plötzlich hören. Es war meine Stimme, aber andererseits war es auch nicht meine. Dieselbe Stimme, die ich hörte, wenn ich eines meiner aufgezeichneten Interviews mit irgendwelchen Prominenten transkribierte. Ich wand mich immer vor Scham, wenn ich meine Stimme hörte, die viel zu hoch und nervös die Fragen stellte. Aus dem Publikum hörte ich Chris’ vertrautes Gelächter, das die Musik übertönte. Sie durchdrang meine panische Stimmung und machte mir bewusst, wie lächerlich ich mich gerade verhielt. Und da passierte
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