Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
umsetzen sollte. Also beschlossen die Roosevelts zusammenzubleiben, unter zwei Bedingungen, die Eleanor ihrem Mann stellte: Er musste seine Beziehung zu Lucy Mercer sofort beenden, und er durfte nie wieder das Bett mit ihr teilen. Absurderweise fühlte sich Eleanor erst nach diesem Vorfall sicher genug in ihrer Position als Ehefrau, um sich gegen Sara durchsetzen zu können. Sie begann damit, die Schiebetüren, die die beiden Häuser verbanden, mit schweren Möbelstücken zu blockieren.
Den Sommer 1921 verbrachten die Roosevelts in ihrem Sommerdomizil auf Campobello Island vor der Küste von Nord-Maine. Eines Nachmittags kam Franklin vom Schwimmen zurück, klagte über Schüttelfrost und Rückenschmerzen und ging früh zu Bett. »Am nächsten Morgen konnte er kaum stehen, und tags drauf konnte er überhaupt nicht mehr aufstehen«, erinnerte sich Eleanor. Sie schlief auf dem Sofa in seinem Zimmer und pflegte ihn fast drei Wochen lang, doch man konnte nichts tun. Franklin hatte sich mit Polio angesteckt und blieb von der Taille abwärts gelähmt.
Als sie wieder in Springwood waren, wurden überall im Haus bewegliche Rampen angebracht, die man entfernte, wenn Gäste kamen. Franklin verbarg seine Lähmung in der Öffentlichkeit, um nicht schwach auszusehen. Manchmal trug er Beinschienen, die ein Abknicken der Knie verhinderten, sodass er aufrecht stehen konnte. Er vermittelte den Leuten die Illusion, dass er mit einem Stock gehen konnte, oder er stützte sich auf den Arm eines Begleiters und schwang immer ein Bein aus der Hüfte vor. Auch während seiner Präsidentschaft wahrte er den Schein. Wenn ihn führende Persönlichkeiten besuchen kamen, saß er in seinem Stuhl und blieb sitzen, bis sie wieder gingen. Die Medien wussten zwar, dass er an den Rollstuhl gefesselt war, doch sie fanden es unangemessen, den Präsidenten in so einer persönlichen Angelegenheit zu »outen«. Sie fotografierten ihn nur, wenn er in einem Auto oder hinter einem Schreibtisch saß oder wenn er sich bei einer Rede an ein Geländer stützte.
Er bezauberte die Presse mit seinem geistreichen Witz und seinem Lausbubencharme. Zur Cocktailstunde scheuchte er Reporter und Mitarbeiter immer in die Garderobe unter der Treppe, weil Sara es nicht mochte, wenn in ihrem Haus getrunken wurde.
»Irgendwie machte er daraus einen Riesenspaß«, erzählte ein Journalist später. »Wir quetschten uns unter Geschrei und Gelächter mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten in diesen kleinen Raum, in dem die Mäntel an der Wand hingen. Er saß in seinem Rollstuhl und mixte Martinis, und wir tranken, als wären wir unartige Kinder, die nachts im Schlafsaal eine Party veranstalten.«
Nachdem wir mit dem ersten Stock durch waren, wurde unsere Gruppe zur Haupttreppe zurückdirigiert, wo wir nacheinander einen Blick in Franklins handbetriebenen Aufzug werfen durften. Er war eigentlich eingebaut worden, damit die Bediensteten das schwere Gepäck der Roosevelts nach Überseereisen besser ins Obergeschoss transportieren konnten. Da Franklin die Standardrollstühle nicht gefielen, entwarf er sein eigenes Modell, einen ganz normalen Holzstuhl mit Rädern unter jedem Bein. Einer von diesen Rollstühlen stand nun im Aufzug, wo er fast den ganzen Raum einnahm.
»Gott sei Dank litt er nicht an Klaustrophobie!«, lachte ein Familienvater mit Baseballkäppi.
»Der Aufzug wird mit einem Flaschenzug betrieben«, erklärte Meg. »Franklin benutzte die Kraft seiner eigenen Arme, um sich hochzuziehen beziehungsweise wieder herunterzulassen.«
»Konnte er sich keinen motorenbetriebenen leisten?«, fragte der Vater.
» FDR wollte keinen elektrisch betriebenen Aufzug. Er befürchtete, dass der Strom bei einem Feuer ausfallen könnte und er bei lebendigem Leibe im Lift verbrennen würde. Feuer war das einzige, wovor er sich fürchtete, weil er nicht davor davonrennen konnte.«
Meg teilte die Gruppe, sodass wir nacheinander in den zweiten Stock gehen konnten. Matt und ich manövrierten uns vor eine Familie mit sechs kleinen Kindern. Das Anwesen hätte eigentlich luftig wirken müssen mit seinen weißen Wänden und den hohen Decken, doch der dunkelblaue Teppich schluckte jedes bisschen Licht. Trotz der fünfunddreißig Räume und der schönen Badezimmer war der Gesamteindruck beklemmend. Das Geburtszimmer, in dem Franklin zur Welt gekommen war, fanden wir alle ein bisschen gruselig. Auf dem Sterbebett hatte Sara darum gebeten, dass das Zimmer wieder genauso hergerichtet werden
Weitere Kostenlose Bücher