Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
ohne Make-up auf eine Party gegangen war, meinte sie: »Ich würde nicht mal meine E-Mails checken, ohne Make-up zu tragen, ganz zu schweigen von einem gesellschaftlichen Ereignis. So was … na ja, so was tut man einfach nicht.« Es dauerte zwei Wochen, aber es gab einen Moment, in dem mir bewusst wurde, dass ich mich mit meinem Gesicht endlich wohlfühlte: An einer U-Bahn-Haltestelle entdeckte ich einen Typen, in den ich am College mal verschossen gewesen war, und anstatt zusammenzuzucken und mich zu ducken, marschierte ich in meiner ganzen Akne-Pracht auf ihn zu und sagte: »Hey, lange nicht gesehen!«
Nachdem schon vier Monate meines Projekts vergangen waren, beschloss ich, dass ich Eleanors Haus besuchen musste, um sie ganz zu verstehen. Und um ihr Haus wirklich zu sehen, musste ich auch Franklins Haus besuchen.
»Franklins Haus?«, fragte Matt verwirrt, als wir zu Bett gingen. Ich schlief an diesem Abend in seinem Apartment, weil sich der gute Kerl bereit erklärt hatte, seinen ganzen Samstag zu opfern, um mich zum Anwesen der Roosevelts in Hyde Park, New York, zu begleiten. »Heißt das, die beiden lebten gar nicht zusammen?«
»In den ersten zwanzig Jahren ihrer Ehe schon. Ich erklär dir das morgen, wenn wir hochfahren.«
Matt legte die Lesebrille auf sein Nachttischchen und hatte gerade das Licht ausgeschaltet, als ich plötzlich die Decke zurückwarf und aus dem Bett sprang. »Oje, ich hab meine beängstigende Aufgabe für heute noch nicht erledigt! Ich hab mich so auf morgen konzentriert, dass ich es völlig vergessen habe.« Dann zog ich mein Schlafshirt – ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift ICH SCHLAF MIT ALLEN , das mir Jessica geschenkt hatte – und meine Unterhose aus.
Matt blinzelte mich müde an. »Was hast du denn vor? Es ist ein Uhr morgens!«
»Ich renn einmal den Flur runter. Bin gleich wieder da.« Nackt über den Flur zu rennen, war meine Ausweichmöglichkeit, wenn sich bis zum Ende des Tages nichts Beängstigendes ergeben hatte. Bis jetzt war ich noch nie einem Nachbarn begegnet, aber Angst hatte ich trotzdem jedes Mal. Bevor Matt antworten konnte, riss ich seine Wohnungstür auf und schoss auf den Flur.
Die Fahrt dauerte zweieinhalb Stunden, und ungefähr so lange brauchte ich auch, um Matt die komplizierten Wohn-Arrangements der Roosevelts zu erklären. Franklins Vater, James Roosevelt, war sechsundzwanzig Jahre älter als Franklins Mutter Sara. Er war schon einmal verwitwet und hatte einen erwachsenen Sohn in Saras Alter. Als 1884 Franklin dazukam, war James vierundfünfzig und interessierte sich nicht mehr allzu viel für elterliche Aufgaben. Er ließ sich von Franklin sogar mit »Mr. James« anreden. Doch Sara hätschelte ihren Sohn wie eine preisgekrönte Orchidee. Sie zog ihn in Springwood auf, dem Familienanwesen am Ufer des Hudson River in Hyde Park. Die Dienstboten redeten den Jungen als »Master Franklin« an, und selbst seine kleinste Leistung rief enthusiastische Lobeshymnen hervor. Obwohl diese Art von Beifall oft schreckliche Ergebnisse hervorbringt (nämlich Kinder, die ihre Talente überschätzen und beim Eintritt in die wirkliche Welt beim ersten Anzeichen von Ablehnung oder Kritik zusammenbrechen), lief es in diesem Fall ganz großartig, sowohl für Franklin als auch für Amerika. Man braucht ja auch ein hohes Maß an Vermessenheit, um zu glauben, dass man ein Land aus der Großen Depression herausführen kann. James Roosevelt starb, als Franklin achtzehn war, woraufhin Sara sich noch besitzergreifender an ihren einzigen Sohn klammerte. Nach Bekanntgabe der Verlobung war sie so kalt zu Eleanor, wie sie zu jedem gewesen wäre, der mit ihr um die Zuneigung ihres Sohnes rivalisierte. Als Eleanor in Springwood einzog, erlebte sie Szenen wie aus einem schlechten Film.
»Arme Eleanor«, kommentierte Matt. »Da hätte ich ungern in ihrer Haut gesteckt.«
Ihrer Schwiegermutter konnte sie nicht entkommen. Als Hochzeitsgeschenk bekam das Paar ein Haus in Manhattan – die Art von »Geschenk« für ein Familienmitglied, das man macht, wenn man es in Wirklichkeit selbst haben will und sehr wohl weiß, dass man jederzeit Zugriff darauf hat. Denn Sara kaufte auch noch das Nachbargrundstück und baute ein Haus für sich, das über Schiebetüren auf mehreren Ebenen mit dem des Brautpaares verbunden war.
»Man konnte nie wissen, wann sie plötzlich auftauchte, bei Tag und bei Nacht«, erinnerte sich Eleanor missmutig.
»Es sieht so … nach Präsident aus«, sagte Matt,
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