Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
auf der Spur. An dem Tag, als das Baby von Tom Cruise und Katie Holmes geboren wurde, blieb meine Redakteurin an meinem Schreibtisch stehen und fragte: »Woran arbeiten Sie gerade?«
»Tja, heute Nachmittag ist ja Suri Cruise zur Welt gekommen …«, begann ich.
»Ach, kommen Sie, die Geschichte ist doch schon wieder eine Stunde alt. Holen Sie sich Katies Fitnessberater an die Strippe und schreiben Sie einen Artikel darüber, wie sie ihren Babyspeck wieder loswerden will. Dann besorgen Sie sich noch ein paar Fotos von jedem Promibaby der letzten drei Monate und starten Sie eine kleine Umfrage: ›Mit wem soll sich Suri Cruise zum ersten Mal zum Spielen verabreden?‹«
»Die Kleine hat noch nicht mal die erste Windel vollgemacht, und wir machen uns schon Gedanken über ihren Terminkalender?«
»Wir müssen die Geschichte weiter ausbauen. Sie müssen sich immer fragen: ›Was kommt danach? Und was kommt danach?‹«, sagte die Redakteurin und schnipste dabei mit den Fingern. Im Grunde hatte ich so auch den Großteil meines Lebens verbracht. In der High School hatte ich mich nur darauf konzentriert, aufs College zu kommen. In Yale war jeder damit beschäftigt, sich das beste Praktikum für den Sommer an Land zu ziehen. Und nach meinem Abschluss hatte ich nur noch meine erste Anstellung im Sinn und danach den nächsten Job und dann meine Beförderung und so weiter und so fort.
»Aber wie soll mir das helfen, besser mit meinen Ängsten zurechtzukommen?«
»Wir neigen dazu, unsere Gedanken so zu behandeln, als wären sie Wirklichkeit. Wenn wir etwas denken, dann ist es so. Wir reden uns ein Ich bin ein Versager oder Mein Leben ist ein einziges Chaos und akzeptieren das als Wahrheit, und dann geht es uns emotional eben auch entsprechend.« Dr. Bob beugte sich vor. Seine graumelierten braunen Locken fielen nach vorne und blieben in der neuen Position liegen. »Durch Achtsamkeit lernen wir, unsere Gedanken einfach nur als Gedanken zu betrachten, nicht als Tatsachen. Wir müssen keine Angst haben, nur weil wir ängstliche Gedanken denken.«
»Aber ich habe beim Yoga schon versucht zu meditieren – irgendwie werde ich am Ende doch jedes Mal wieder abgelenkt.«
Er nickte mir aufmunternd zu. »Sie können doch einfach mal damit anfangen, die Ablenkungen in Ihrem Leben zu reduzieren, sodass Sie sich voll und ganz auf den Moment konzentrieren können. Fernsehen zum Beispiel wird gern dazu benutzt, dem wahren Leben zu entfliehen. Handys und das Internet spielen uns zwar vor, dass sie uns mit der Umwelt verbinden und vernetzen, aber in Wirklichkeit halten sie uns von wahren Beziehungen fern. Und sie machen es uns schwerer, mit uns selbst in Verbindung zu bleiben.«
»Mein gesamtes technisches Beiwerk abschaffen? Mann, das wäre mal wirklich beängstigend«, sagte ich halb scherzhaft. Ich musste an den August 2003 denken. Damals hatte es im Nordosten der Stadt einen massiven Stromausfall gegeben, und New York war zwei Tage ohne Strom. Die Leute steckten in der U-Bahn und in Aufzügen fest. Alle Ampeln waren tot. Die Touristen liefen durch die Gegend, weil die elektronischen Schlüssel zu ihren Hotelzimmern nicht mehr funktionierten. Die Leute hatten nur noch das Geld, das in ihren Portemonnaies steckte, weil die Geldautomaten nicht mehr funktionierten. Die Regierung rief den Ausnahmezustand aus. Das Schlimmste war für mich jedoch nicht gewesen, dass ich die dreißig Stockwerke zu meinem Apartment zu Fuß hinaufgehen musste oder dass ich in der stickigen Hitze keine Klimaanlage mehr hatte. Nein, es war die Ruhelosigkeit und Einsamkeit, die daher rührte, dass Handy, Internet, Mail und Fernseher nicht mehr funktionierten.
»Sind Sie das erste Mal auf Cape Cod?«, erkundigte sich mein Taxifahrer, als wir von der Busstation Hyannis losfuhren.
»Ja. Ich meine, ich war schon mal auf Nantucket, aber …«
»Das ist nicht dasselbe«, sagte er knapp. »Sind Sie geschäftlich hier oder zum Vergnügen?« Sein Kennedy-Akzent war einfach fantastisch.
»Beides, könnte man sagen. Ich bin für Schweigeexerzitien hergekommen.«
»Sie zahlen also Geld dafür, dass Sie nicht sprechen dürfen? Na, wenn Sie meinen.«
»Es ist nicht nur das Schweigen. Ich hab auch kein Internet, keine E-Mail, keine SMS .«
»Ich hab ja überhaupt keinen Computer, und ich will auch keinen!«, verkündete er stolz. Nach dem, was ich von seinem Gesicht im Rückspiegel erkennen konnte, schätzte ich den Mann auf etwas über achtzig.
Er deutete in die
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