Wer nichts riskiert, verpasst das Leben: Wie ich 365 Mal meine Angst überwand (German Edition)
klar, wie diese Idee konkret funktionieren könnte. Ich konnte mich tatsächlich jeden Tag mit einer Angst auseinandersetzen. Manchmal in Form einer spektakulären Aktion, indem ich von einer Klippe sprang oder Skydiving machte, manchmal in Form von kleineren Dingen, wie z.B. indem ich jemandem sagte, was ich wirklich von ihm hielt. Angst ist relativ. Für manche Leute ist es kein Problem, eine Bühne zu betreten, aber mir schlägt beim bloßen Gedanken daran das Herz bis zum Hals. Alles, was meinen Herzschlag beschleunigte, war das Ausprobieren wert. Als ich mir gerade einen Kalender vornehmen und die nächsten 365 Tage meines Lebens planen wollte, fiel mir noch etwas anderes ein, was Eleanor gesagt hatte. Ich blätterte so lange, bis ich die Stelle fand: »Man kann seine Zeit nicht optimal nutzen, ohne eine Art Plan zu machen«, schrieb sie. Doch gleichzeitig warnte sie: »Ich finde, dass das Leben viel befriedigender ist, wenn es eine Art Muster bildet, wenngleich ich es nicht für günstig halte, wenn die Vorgaben zu strikt sind .«
Sie möchte mir zu verstehen geben, dass ich es nicht übertreiben soll, dachte ich. Wenn ich diesen Plan zu streng gestalte, lasse ich keinen Raum mehr für Spontaneität, für die Auseinandersetzung mit den kleinen, täglichen, unerwarteten Ereignissen. Wenn ich alles im Voraus plante, bedeutete das auch, dass ich mich nicht allen Ängsten stellte, denn in den letzten Jahren hatte ich eine Abneigung gegen Spontaneität entwickelt. Ich wandte mich wieder meinem Dokument zu und fügte unten noch eine Zeile an: »Angst vor dem Unbekannten und Ungeplanten.«
Ich war glücklich, dass ich zwar noch keinen richtigen Plan, aber zumindest eine generelle Idee für meine nächste Zukunft hatte, und ich änderte den Titel des Dokuments in »Mein Jahr der Angst«. Dann führte ich den Cursor an den oberen Bildschirmrand und klickte mit mehr Selbstvertrauen, als ich während der ganzen letzten Monate gespürt hatte, auf das »Speichern«-Symbol. Gesichert.
2. K APITEL
Nichts Lebendiges kann stillstehen, es geht
entweder vorwärts oder rückwärts. Das
Leben ist nur so lange interessant, wie es ein
Wachstumsprozess ist – anders formuliert:
Wir können nur wachsen, solange wir
Interesse spüren.
Eleanor Roosevelt
Z um ersten Mal seit Monaten spürte ich wieder Hoffnung. Außerdem musste ich meinen Geburtstag planen. Ein paar Tage nach Erstellung meiner Liste lag ich mit einem Eleanor-Buch auf dem Sofa, doch meine Gedanken wanderten immer wieder zu meinem bevorstehenden neunundzwanzigsten Geburtstag. Da Matt aus beruflichen Gründen in Albany sein würde, wollte er mich am Wochenende darauf schön zum Essen ausführen. Also war ich allein mit meinen wenigen verbliebenen guten Freunden. Blieb nur noch die Frage, wie ich meinen Geburtstag feiern wollte. Da es gleichzeitig der erste offizielle Tag meines »Jahres der Angst« sein würde, wollte ich die Party mit einer angsteinflößenden Unternehmung verbinden. Aber mit was für einer?
Eigentlich hatte ich gehofft, dass Eleanor mir die Inspiration liefern würde, aber beim Durchblättern ihrer Biografien hatte ich nichts über Geburtstage gefunden. Stattdessen nahm mich das Drama ihrer privilegierten, aber freudlosen Kindheit gefangen. Die eheliche Situation ihrer Eltern war angespannt. Ihr Vater Elliott trank zu viel. Als Eleanor fünf Jahre alt war, entfesselte er einen kleinen Skandal, als er eine der Dienstbotinnen schwängerte, welche sich einen Anwalt nahm und ihm drohte, ihn auf 10 000 Dollar zu verklagen. Als Eleanor acht Jahre alt war, starb ihre neunundzwanzigjährige Mutter an Diphterie. Elliott hielt sich zu dieser Zeit in einer Heilanstalt auf, um seinen Alkoholismus zu kurieren, daher wurden Eleanor und ihre zwei Brüder im Backsteinhaus ihrer griesgrämigen Großmutter in Manhattan untergebracht. Fünf Monate später starb einer ihrer Brüder, Elliott junior, ebenfalls an Diphterie. Eleanor und ihr Vater hielten unterdessen brieflichen Kontakt, doch eines Tages kamen einfach keine Briefe mehr. Keine zwei Jahre nach dem Tode ihrer Mutter musste Eleanor erfahren, dass ihr Vater sich umgebracht hatte, indem er aus dem Fenster gesprungen war. Ihr kleiner Bruder und sie blieben bei Großmutter Hall und deren vier stürmischen Kindern, die zwar schon erwachsen waren, aber alle noch zu Hause lebten. Ihre exzentrischen Tanten – eine trug den unseligen Namen Pussie, die andere hieß Maude – und ihre Playboy-Onkel, Vallie und Eddie,
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