Wer nie die Wahrheit sagt
Freitagvormittag, Gabriella war beim Zahnarzt und spät dran; sie ist unser Kindermädchen«, fügte sie an Simon gewandt hinzu. »Außerdem hattest du Ollie und Jimmy Maitland ja bereits mitgeteilt, dass du heute erst gegen Mittag ins Büro kommst. Ich wollte es dir unterwegs sagen.«
»Ich weiß, dass ich das nicht hören will, aber spuck’s trotzdem aus, Sherlock. Ich werd’s aushalten.«
»Nein, Tammy Tuttle reicht wohl nicht, es gab auch noch einen dreifachen Mord in einer Kleinstadt namens Flowers, in Texas. Der Gouverneur hat das FBI alarmiert und verlangt, dass wir kommen, also werden wir das auch. Sowohl ATF als auch FBI arbeiten an der Sache. Es gibt da unten so eine Sekte, und die sollen, wie man vermutet, den Sheriff und seine beiden Deputies ermordet haben. Die drei waren rausgefahren, um sich den Verein mal näher anzusehen. Man fand ihre Leichen in einem Straßengraben außerhalb der Stadt.«
»Das ist doch Wahnsinn«, sagte Simon.
»Ja«, stimmte ihm Sherlock zu, »das ist es. Äh, Mr. Beezler, würde es Ihnen was ausmachen, kurz rauszugehen? Das alles ist sozusagen vertraulich.«
Der Galerist sah ziemlich enttäuscht aus, verließ aber den Tresorraum. In der Tür blieb er noch einmal stehen und fragte Savich: »Und was ist mit Ihrer Schwester und Mr. Russo? Die sind doch auch Zivilisten.«
»Ich weiß, aber denen kann ich eins aufs Maul geben, wenn sie was sagen, und das würde ich bei Ihnen gerne vermeiden, Mr. Beezler.«
»Ein Problem ist«, erklärte Sherlock, nachdem Beezler gegangen war, »dass sich die Führungsriege der Sekte in alle Winde zerstreut hat; sind in kleinen Gruppen untergetaucht. Keiner weiß, wo der Anführer steckt. Man hat ein paar Mitglieder aufs Revier geholt, aber die schütteln nur die Köpfe und sagen, sie wissen von gar nichts. Das einzig Gute ist, dass es eine Art Zeugin gibt. Scheint, dass eine Frau namens Lureen von dem Guru ein Kind erwartet. Diese Lureen war stinksauer, als sie ihn beim Schäferstündchen mit einem anderen weiblichen Sektenmitglied ertappte, mit mindestens drei oder vier anderen sogar. Sie hat sich weggeschlichen und dem Bürgermeister davon erzählt.«
»Also eine Zeugin«, meinte Savich bedächtig. »Hat sie den Guru als den Mann identifiziert, der die Morde befahl?«
»Noch nicht. Sie überlegt sich’s noch. Fürchtet, sie könnte das Karma ihres Kindes durcheinander bringen, wenn sie den Vater als Mörder identifiziert.«
»Na toll.« Savich seufzte. »Wie Ollie schon sagte, im Leben wird einem nichts geschenkt. Weiß man denn den Namen dieses Gurus?«
»Klar, das ist kein Geheimnis«, antwortete Sherlock. »Wilbur Wright. Lureen wollte den Namen nicht laut sagen, aber weil er schon ’ne ganze Weile hier residiert, weiß ihn jeder.«
»Ist das nicht der Abschuss?« Savich rieb sich den Nacken, nickte Simon zu, packte seine Frau bei der Hand und verließ mit ihr den Tresorraum. Über die Schulter sagte er noch: »Also, dann bleibt es dabei. Lily, du ruhst dich aus und siehst zu, dass du wieder auf die Beine kommst. Simon, du wohnst bei uns. Ist mir lieber so. Sherlock und ich werden später anrufen. Ach ja, und verwöhnt Sean nicht zu sehr. Gabriella ist jetzt schon ganz hin und weg, die braucht nicht noch mehr Hilfe. Schrei, wenn du willst, damit MAX was für dich rauskriegt, Simon.«
»Werde ich.«
»Ach ja, da ist noch was«, sagte Sherlock zu Savich, als sie den Tresorraum verlassen hatten und in der großen Galerie standen, allein und außer Hörweite von Lily und Simon. Sie warf einen Blick auf Raleigh Beezler und Dyrlana, die vorn bei der Schaufensterfront standen und Tee tranken.
Savich wusste, dass er das nicht hören wollte. Er schaute sie nur an und nickte langsam.
»Der Guru. Er hat dem Sheriff und den beiden Deputies das Herz rausschneiden lassen.«
»Also deshalb will uns der Gouverneur von Texas da mit drin haben. Der Kerl hat vielleicht was ähnlich Scheußliches schon mal in anderen Bundesstaaten angestellt. Mensch, Sherlock, ich hab doch gleich gewusst, dass es nicht so simpel sein kann, wie du’s dargestellt hast. Also, arbeiten die Profiler schon dran?«
»Ja. Ich wollte nicht, dass Lily das mit anhört.«
»Du hast Recht. Also gut, Liebes, gehen wir Tammy Tuttle und Wilbur Wright jagen.«
Lily Savich-Frasier und Simon Russo standen in der Stille des Tresorraums; keiner von beiden sagte ein Wort. Sie ging zu einem Gemälde – Mitternachtsschatten, einem der echten – und sagte: »Ich frage
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