Wer nie die Wahrheit sagt
sie schauderte. Er sagte: »Wie würde es Ihnen gefallen, zerfetzt zu werden?«
»Das würde sie nich machen. Wir kennen uns von klein auf. Ich bin ihre Kusine. Ihre Ma und meine waren Schwestern, oder wenigstens Halbschwestern. So genau konnten sie’s nich sagen, weil ihr Pa immer rumgehurt hat.«
»Wieso hat Tammy getan, als wäre sie Timmy?«
Marilyn heftete den Blick auf einen Stapel Bücher an der einen Wand und antwortete nicht. Savich wollte die Sache schon für den Moment auf sich beruhen lassen, da sie offensichtlich nahe daran war, die Fassung zu verlieren, doch dann sprudelte es aus ihr hervor: »Sie wollte mich, wissen Sie, aber sie war keine Lesbe, also hat sie nur mit mir rumgemacht, wenn sie wie Timmy angezogen war, nie wenn sie Tammy war.«
Savich war einen Augenblick lang sprachlos. Das war doch einfach krank. Endlich sagte er: »Also gut, erzählen Sie mir, in welcher Verfassung Tammy jetzt ist.«
Bei diesen Worten saß Marilyn plötzlich wieder kerzengerade. »Trotz Ihnen, sie wird wieder, zumindest sagt sie das dauernd. Aber sie hat echt Schmerzen, ihre Schulter sieht ganz rot und geschwollen aus. Einmal ist sie spät am Abend noch in eine Apotheke gegangen, gerade als die schließen wollten, und hat den Mann da drin dazu gebracht, ihr was gegen die Schmerzen und die Entzündung zu geben. Er hätt fast gekotzt, als er ihre Schulter gesehn hat.«
»Von einem Überfall auf eine Apotheke habe ich nichts gehört«, sagte Savich nachdenklich. Man suchte überall nach ihr, bis jetzt jedoch ohne eine Spur.
»Ja, weil Tammy den Kerl nachher ausgeknipst und die Apotheke zerdeppert hat. Meinte, dann glauben die Bullen, dass es einer von den Drogies war.«
»Und wo war das, Marilyn?«
»Irgendwo im Norden von New Jersey. Kann mich nich mehr an den Namen von diesem Drecksnest erinnern.«
Die örtliche Polizei hatte den Mord an dem Apotheker einfach nicht mit dem Bulletin über Tammy Tuttle in Verbindung gebracht, das das FBI an alle Polizeireviere an der Ostküste geschickt hatte. Nun ja, jetzt konnten sie wenigstens alles in Erfahrung bringen, was die dortige Polizei über den Mord hatte. »Wo ist Tammy hin, als Sie nach Bar Harbor gingen?«
»Sie hat gesagt, sie braucht ’n bisschen Sonne für ihre Schulter. Sie wollte in die Karibik fahren, um wieder gesund zu werden. Nein, ich weiß nich, wo; wollte sie mir nich sagen. Sie hat gesagt, da unten gibt’s jede Menge Inseln, und sie will sich einfach die für sie richtige aussuchen. Natürlich hatte sie nich genug Geld, also hat sie diesen Mann und seine Frau in diesem echt schicken Haus in Connecticut überfallen. Hat dreitausend und paar Zerquetschte gekriegt. Danach hat sie dann gesagt, dass sie schon zurechtkommt und ich verschwinden kann.«
»Natürlich wird sie Sie anrufen, um Ihnen zu sagen, wie’s ihr geht?«
Marilyn nickte.
»Wo wird sie Sie anrufen?«
»Bei meinem Freund, in Bar Harbor. Aber da bin ich ja jetzt nich mehr, nich? Mein Freund wird ihr sagen, dass die Bullen aufgetaucht sind und mich mitgenommen haben.«
Leider wahr, dachte Savich, das half nun einmal nichts. Er hoffte bloß, dass Tammy mit ihrem Anruf warten würde, bis sie sie in der Karibik aufgestöbert hatten.
Marilyn meinte: »Ich wette, sie ist ganz scharf drauf, Sie zu töten, wegen dem, was Sie mit ihr gemacht haben. Sie kommt wieder, wenn’s ihr wieder ganz gut geht, und dann knipst sie Ihnen das Licht aus. Tammy ist das fieseste Weibsstück, das es gibt. Hat mich als Kind jedes Mal windelweich geprügelt, wenn wir uns begegnet sind. Sie kriegt Sie, Dillon Savich. Sie sind nichts im Vergleich zu Tammy.«
»Was sind die Ghule, Marilyn?«
Marilyn Warluski schien vor seinen Augen zu schrumpfen. Sie drückte sich gegen die Lehne ihres Stuhls und zog den Kopf ein. »Die sind schlimm, Mr. Savich, echt schlimm.«
»Aber was sind sie?«
»Tammy sagt, sie hat sie gefunden, als sie und Tommy sich mal vor ’n paar Jahr’n in einer von den Höhlen in den Ozarks versteckt haben. In Arkansas, wissen Sie. War total finster da drin, hat sie gesagt, stockfinster und gestunken hat’s da, nach Fledermausscheiße, und Tommy war grad draußen beim Pissen, da kam auf einmal dieses unheimliche weiße Licht und mit dem Licht die Ghule.«
»Haben sie ihr was getan?«
Marilyn schüttelte den Kopf.
»Was hat sie sonst noch gesagt?«
»Na ja, sie hat gesagt, sie wusste, dass es die Ghule waren, wusste es einfach, dass sie ihre Stimmen in ihrem Kopf gehört hat, wie sie
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