Wer ohne Liebe ist: Kriminalroman (German Edition)
sie etwas Wäsche aus dem Haufen gesucht und gerettet, was auf ihrem Schreibtisch noch nicht vom Wasser aus der Blumenvase durchtränkt gewesen war.
Sie hockte die meiste Zeit auf dem Küchenstuhl am Fenster. Die wenigen Stunden, die sie schlafen konnte, hatte sie sich auf dem Bett, umringt vom Chaos, zusammengerollt. Sie wusste, dass sie nicht handeln musste. Es reichte abzuwarten. Früher oder später würden sie die Nerven verlieren. Die Lehrerin lächelte in sich hinein. Ihr war klar, dass sie mit den Leben dieser Leute spielte. Aber das machte ihr nichts aus.
Sie war gerade auf dem Klo gewesen, als sie das leise Klopfen an ihrer Wohnungstür hörte. Sie erstarrte und traute sich nicht, die Spülung zu drücken. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür und hockte sich auf den Boden. Der fremde Mann auf der anderen Seite der Tür hatte eine angenehme Stimme. Er sagte, er sei von der Polizei und wollte sie sprechen. Auf dem Boden vor ihr lag die heruntergerissene Holzgarderobe. Sie hatten sich die Mühe gemacht, das Futter ihrer Daunenjacke zu zerschneiden. Nach jedem Windstoß flogen kleine weiße Federn herum und legten sich wieder sanft auf die Trümmer der Möbel.
»Frau Lorenz, bitte machen Sie auf. Ich brauche Ihre Hilfe.«
Die Frau legte sich auf die Daunenjacke und schloss die Augen. Sie spürte eine kleine Feder auf ihrer Lippe, die sie sanft wegpustete. Sie war so müde.
Der Mann draußen sprach jetzt ganz leise. Trotzdem konnte sie ihn gut verstehen. Er musste seinen Mund ganz nah an der Tür haben.
»Frau Lorenz, ich glaube, dass Sie in Gefahr sind. Bitte machen Sie mir auf. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
Dann war es eine Weile still. Sie grub sich in die Reste ihrer Jacke und roch ihren sauren Atem. Fast wäre sie eingeschlafen, da hörte sie wieder etwas hinter der Tür. Jemand ging mit langsamen harten Schritten die Treppe von oben hinunter. Oh nein, dachte sie.
»Was machen Sie denn da! Ich ruf die Polizei!«
Trotz allem musste sie lächeln. Die alte Hansen klang nicht eine Spur ängstlich. So musst du werden, dachte sie. So wie die Alte aus dem dritten Stock.
Draußen folgte ein längeres Hin und Her, der Mann beteuerte, er sei selber von der Polizei, und die alte Frau glaubte ihm nicht. Sie sah sie vor sich, wie sie hinter der Tür stand und mit zusammengekniffenen Augen einen Ausweis musterte, den der Mann ihr gegeben hatte. Ihre Brille war seit langem nicht mehr ausreichend, aber sie wollte nicht die Zuzahlungen für eine neue herausrücken, aus Prinzip nicht, das hatte sie ihr letztes Jahr auf dem Hoffest erzählt. »Wissen Sie, wie lange ich schon in diese Kasse einzahle? Und nie krank, keinen einzigen Tag gefehlt!«
Jetzt kam ein zögerliches Klopfen, leiser als vorhin. Lina Hansen sagte mit ihrer rauen brüchigen Stimme:
»Geht es Ihnen gut, Herzchen?«
Der Mann fragte, ob sie einen Schlüssel zu der Wohnung habe. Nein, sagte die Hansen, aber es gebe einen Hauswart, den könne man … Die Frau erstarrte. Sie wusste, dass sie hereinkommen würden, wenn sie nichts unternahm. Der Mann und die Hansen und der Hauswart, und wer weiß, wer sonst noch. Langsam erhob sie sich.
»Sie liegt mir am Herzen, wissen Sie, meine Tochter lebt ja weit weg, in Neuseeland.« Der Ton der Hansen hatte sich verändert, sie klang jetzt wie ein schnurrender alter Kater. Flirtete sie etwa? Langsam fasste die Frau nach der Klinke.
»Ich hab hier nur noch meine Enkelin, ich fahr jeden Sonntag – ach, da sind Sie ja!«
Sie hatte die Tür nur einen Spalt weit geöffnet und betrachtete den Mann. Er war größer als Lukas, nicht ganz so muskulös wie er. Seine dunklen Augen waren schön, ob wohl ein Schatten um sie lag. Schneller, als man es einer alten Frau zutraute, hatte die Hansen ihren beigen Gesundheitsschuh auf die Türschwelle gestellt. Reflexartig wollte sie die Tür wieder zuschieben, aber der Mann hatte bereits seine Hand auf der Klinke und hielt sie eisern auf.
»Frau Lorenz, ich möchte Sie bitten mich kurz …«
»Herzchen, Gott sei Dank, ich dachte schon.«
Einen Moment lang zerrten alle drei verbissen an der Tür, bis die junge Frau aufgab. Sie ließ die Tür offen, stellte sich aber vor den Spalt und wandte sich an die ältere Nachbarin.
»Es geht mir gut, Frau Hansen, danke. Der Mann hat nur ein paar Fragen an mich, oder?«
Der Mann nickte. Vorsichtig stellte er sich zwischen die beiden Frauen und lächelte die alte Dame an.
»Danke für Ihre Hilfsbereitschaft. Ich denke, wir
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