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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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auf den Knopf, der Patton herbeirief. Dann ging er auf Zehenspitzen zur Tür. Als Patton öffnete, legte Timothy einen Finger auf seine Lippen und schlich sich hinaus. »Schnell weg, bevor er es sich noch anders überlegt«, sagte er, und er entspannte sich erst, als der Helicopter die Klimasphäre durchstoßen hatte und Brookers Schloß unter der milchigen Halbkugel verschwunden war. Er seufzte. »Ade, Urlaub unter alten Bäumen und blauem Himmel.«
    Patton knetete seine Finger.
    »Wann haben Sie Geburtstag?« fragte Timothy ihn unvermittelt.
    »Am dritten Januar.«
    »Dann nehmen Sie es, wie Sie wollen, als verspätetes oder als verfrühtes Geburtstagsgeschenk«, sagte Timothy und schlug das Fell auseinander. »Es ist doch die richtige?«
    Patton brachte kein Wort heraus. Er starrte nur auf die Flasche mit den kleinen blauen Kugeln.
    »Oder nehmen Sie es als ein Abschiedsgeschenk Ihres bisherigen Chefs. Aber verlangen Sie nicht noch Ihr letztes Gehalt«, sagte Timothy kichernd. »Wenn es irgend etwas gibt, das er auf den Tod nicht ausstehen kann, so sagte Brooker mir vorhin, dann sind es Erpresser.«

Schneewittchen und der Mann aus dem 20. Jahrhundert
    1.
    Timothy zögerte. Einen Augenblick dachte er daran, zu fliehen, sich einfach umzudrehen und auszureißen, dann gab er sich einen Ruck, drückte die Brust heraus und ging hinein. Nicht nur, weil er Daniel versprochen hatte, zur Eröffnung seiner Ausstellung herunterzukommen; die über die Grenzen Chicagos berühmten Kunstpremieren im »Nebraska« waren ausgezeichnete Gelegenheiten, Informationen zu sammeln. Wo sonst konnte man so viele interessante, berühmte und auch bedeutende Leute auf einmal treffen, wo sonst gaben sie sich so ungehemmt, locker und klatschsüchtig? Kunst schien selbst die kaltblütigsten Rechner und die verschlossensten Beamten zu berauschen. Timothy wußte, daß es in Wirklichkeit nicht die Gemälde oder Plastiken waren, sondern die ungezwungene Atmosphäre und die raffinierten Mixturen aus Drogen und Alkohol, die jeder Aussteller freigebig herumreichen ließ, um die Wirkung seiner Werke zu erhöhen.
    Der Saal, der fast ein Viertel des 13. Stockwerks einnahm, erschien heute riesig; die Zwischenwände waren herausgenommen, nur kleine, schallschluckende Wandschirme unterteilten den Raum in Kojen, in denen sich Daniels Plastiken voneinander ungestört entfalten konnten. Wie viele mochten es sein? Zehn, zwanzig? Nicht mehr.
    Daniel konnte zufrieden sein. Timothy stellte auf den ersten Blick fest, daß über ein Dutzend Bigbosse gekommen waren, auch der Gouverneur von Illinois, der Oberbürgermeister von Chicago und wenigstens drei seiner Stellvertreter, der Chef der NSA, Bloomsfield, und Mommsen Maroon, der Polizeipräsident, ein paar Dutzend Wissenschaftler, die besten und bestbezahlten, versteht sich, nur sie waren würdig, eingeladen zu werden – und möglicherweise Käufer. Journalisten wurden nie zugelassen, dafür war der ganze Klüngel der üblichen Premierenbesucher vertreten, Kritiker, Snobs, Playies, Kollegen, darunter so berühmte wie Jennifer Aap, die die sprechenden Gemälde kreiert hatte, und Brian Joyce, der Erfinder der tautologischen Epen, Abraham Icks, der Maler des Unsichtbaren, Mercury LaGrande, der Barde oder vielleicht besser die Prophetin des Geschlechtertausches, Pete Goodhard, der Viereinhalbtöner, dann der berühmte Couturier Walter W. Macka, der die Bauchbinde eingeführt, und Gerard Shyman, der die Doppelschlingenfrage in den Rang einer Kunst erhoben hatte und immer noch durch das Showbusiness geisterte.
    Timothy stürzte sich nicht gleich in die Arbeit, er wollte erst einmal sehen, was Daniel diesmal ausstellte. Es war eine Sensation, daß er ein zweites Mal ins »Nebraska« eingeladen worden war, zumal er schon beim erstenmal ungewöhnlich lange im Licht der Öffentlichkeit gestanden hatte, fast zwei Monate, länger als nahezu alle anderen Kunstmoden der letzten Jahrzehnte, so daß McPerson damals in seinem sonntäglichen »Kunsteintopf« gesagt hatte: »Gott sei Dank, der Danny-Kult ist endlich tot.«
    Aber nun war Daniel Shopenhower wieder da. Und wie er da war! Timothy wurde bereits von der ersten Plastik so eingefangen, daß er seine Umwelt vergaß. Zum Glück war die dichte Traube der Premierengäste weit entfernt, so daß er ganz allein der Sonic gegenüberstand. Daniel brachte nichts völlig Neues, er hatte nur seine Erfindung weiterentwickelt; auch diese Sonics tönten; sie klangen, gongten, wisperten,

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