Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
daran zweifeln kann, daß er aus dem vorigen Jahrhundert stammt, andererseits dürfen es wiederum nicht zu viele Fakten sein, denn jedes Detail vergrößert die Gefahr der Entdeckung. Dann müssen Sie jemanden auftreiben, der genauso alt ist wie das Original zum Zeitpunkt des Freezing und der genauso aussieht. Das ist das allerwichtigste. Noch nie zuvor mußte ein Mensch sich selbst so ähnlich sein wie hier die Kopie dem Original. Sonst wird das Publikum mißtrauisch. Wer will schon verändert aussehen, wenn er eines Tages wieder aufwacht? Und wenn es überhaupt Veränderungen gibt, wo sind dann die Grenzen? Und die Gesundheit! Natürlich muß er gesund sein, also auch nicht zu alt. Jede Krankheit erhöht die Identifikationsmöglichkeiten. Er darf keinen Zahn mehr oder weniger haben als das Original.«
Dulles sah zu Timothy hinüber. In seinem Gesicht spiegelte sich nicht nur Ärger, sondern auch Hochachtung, daß es gelungen war, all diese Hindernisse zu überwinden.
»Und intelligent muß er sein. In jeder Minute das Spiel spielen können. Er muß trainiert werden. Ich schätze, es hat Jahre gedauert, das Double fit zu machen. Er muß ja praktisch sein ganzes bisheriges Leben vergessen und dafür alles wissen, was der andere gewußt haben kann. Was glauben Sie, wie man diesen Mann durch die Mangel drehen wird, wie oft man ihn interviewen wird, wie oft er auftreten muß! Dutzende von Wissenschaftlern werden ihn untersuchen wollen, und einigen muß man es gestatten, damit der Schwindel nicht auffliegt; vielleicht wird ihn sogar die NSA testen wollen.«
»Es wird also ganz einfach sein, das Unternehmen platzen zu lassen«, sagte Timothy. »Die Leute von der SOLIDAD haben bei ihren jahrelangen Vorbereitungen ganz bestimmt etwas übersehen, und das werde ich heute nachmittag oder morgen beim Frühstück entdecken.«
»Das habe ich nie behauptet! Im Gegenteil, ich glaube selbst kaum, daß wir noch den Fuß in die Tür bekommen, aber sollen wir es nicht wenigstens versuchen? Nur wer aufgibt, ist verloren. Vielleicht finden Sie wirklich etwas? Was riskiere ich denn? Einen Mitwisser mehr.«
»Und als Mäzen in mein Gedächtnis einzugehen und für immer meiner Dankbarkeit sicher zu sein. Haben Sie sich schon für eine Sonic entschieden? Für welche?«
»Lassen Sie mich doch mit dem Zeug zufrieden! Machen Sie sich lieber an die Arbeit. Wir haben nur noch ein paar Tage Zeit. In einer Woche will die SOLIDAD die Werbekampagne starten. Bis dahin muß Ihnen etwas einfallen. Ich zahle Ihnen außer den verdammten Plastiken für jeden Tag tausend Dollar, und wenn Sie Erfolg haben, zehntausend pro Tag.«
»Ich werde sofort anfangen, darüber nachzudenken, und Napoleon auch.«
Dulles fuhr hoch. »Ich habe gesagt: keine weiteren Mitwisser. Wenn nur das Geringste an die Öffentlichkeit durchsickert und es auch nur den kleinsten Verdacht gibt, daß Sie damit zu tun haben –«
»Beruhigen Sie sich, Mister Dulles. Der gute alte Napoleon ist mein Computer.«
»Ach so.« Dulles nestelte an der Westentasche seines Anzugs, aber er suchte nicht eine Taschenuhr, die hing wahrscheinlich an der goldenen Kette auf der anderen Seite, er brachte ein metallenes Pillendöschen hervor, dessen weißsilber und goldschwarz changierende Oberfläche Titan verriet, was nun gar nicht zu einem Anzug aus den preußischen Gründerjahren paßte. Dulles entsiegelte das Identicatschloß mit seinem Daumenabdruck, öffnete die Dose und entnahm ihr einen Kristall, den er Timothy reichte.
»Hier haben Sie alles, was über den Eingefrorenen zu erfahren war. Ich gebe zu, es ist nicht viel. Der Mann heißt Blacksmith. Arribert Blacksmith. Zweiunddreißig Jahre alt. Vor achtzig Jahren eingefrostet. Keine Nachkommen. Seine Familie ist ausgestorben. Niemand lebt mehr, der sich an ihn erinnern könnte. Es gibt kaum noch Daten über ihn. Ein paar Bogen Papier, das ist alles. Er kann also erzählen, was er will, natürlich, seine Zeit muß er beherrschen, sonst zerreißen ihn die Historiker.«
»Schlimmstenfalls kann er sagen, er habe es vergessen.«
»Kaum.« Dulles grinste. »Da sehe ich eine Chance für uns, denn gerade das kann er nicht. Er muß ein unanständig gutes Gedächtnis haben, besser als jeder lebende Mensch. Die meisten haben doch Illusionen darüber, wieviel sie wissen, ein albernes Vorurteil, gewiß, aber Blacksmith soll nicht die Wissenschaftler überzeugen, sondern potentielle Kunden. Er muß alles wissen, von dem die Leute heute annehmen, daß
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