Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
Schlußwort. »Es geht ja nicht nur um den materiellen Verlust, der abgewendet wurde und der, soweit es sich überhaupt mit Geld ersetzen läßt, von den Versicherungen hätte getragen werden müssen; es geht darum, daß wir einen Sieg der Gerechtigkeit erleben durften und die Verteidigung der Persönlichkeit gegen einen dreisten und unerhörten Angriff. Denn was bleibt da noch, was bleibt von uns, wenn, wenn...« Er suchte nach Worten. Niemand kam ihm zu Hilfe. »Ich schlage vor«, schloß er, »daß wir die endgültige Lösung des Problems im engen Kreis besprechen.«
Timothy verstand den Hinweis. Bevor er sich ausschaltete, bedankte er sich noch einmal und bat, ihm das Geld nicht zu überweisen, sondern ins Haus zu schicken.
»Ich möchte vermeiden, daß ich der Finanzbehörde Rechenschaft geben muß«, erklärte er. Es war den Spendern anzusehen, daß sie nicht sehr fest an den Hilfsfonds glaubten. Timothy war es egal. »Nicht nur wegen der Steuer«, fuhr er fort, »obwohl die dem edlen Gedanken schon unberechtigte Einbuße zufügen würde, aber wahre Hilfe ist diskret. Sie kränkt den Bedürftigen nicht durch öffentliche Bloßstellung.«
Jetzt nickten alle zustimmend.
10.
Niemand hätte in dem quicklebendigen Timothy, der in den nächsten Stunden einen Besucher nach dem anderen empfing, den schwerkranken Mister Truckle vom Vormittag wiedererkannt. Bis zum Abend waren fast zwei Drittel der Spenden eingetroffen, der Rest ging am nächsten Vormittag ein. Timothy hatte Mühe, alles unauffällig zu verstauen, denn die Spender hatten es vermieden, allzu große Scheine zu nehmen. Zu Timothys Überraschung hatte auch Daisy Dayton zweihunderttausend Dollar gesandt. Und eine Rose.
Als der Große Bruder anrief, um sich nach Timothys Gesundheit zu erkundigen, bat der um Hilfe.
»Ich ersticke«, stöhnte er, »ich ersticke in Geld. Hoffentlich läßt du es bald abholen!«
Der Große Bruder brauchte ungewöhnlich lange, bis er die Sprache wiederfand.
»Wo hast du Geld her, Tiny? Ich denke, du liegst schwerkrank im Bett.«
»Tue ich. Aber wie heißt es doch: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. Ich habe den Timothy-Truckle-Fonds zur Unterstützung Hilfsbedürftiger ins Leben gerufen, und die ersten Spenden sind gerade eingetroffen.«
»Wieviel?« fragte der Große Bruder aufgeregt.
»Siebenundvierzig.«
»Tausend?«
»Weiße Riesen.« Timothy weidete sich an dem erschrockenen Aufschrei. »Siebenundvierzig Weiße Riesen oder vier Komma sieben Millionen. In kleinen Scheinen. Und wenn auch nicht aus den saubersten, so doch aus den wohl am saubersten gewaschenen Händen, die es in den Staaten gibt. Etwas davon muß ich aber wirklich für den Fonds behalten, ich will auf alle Fälle die Fiktion einer karitativen Stiftung schaffen. Ich dachte an zehn- oder zwanzigtausend, die ich so dezent unter die Leute bringe, daß alle Welt davon spricht.«
»Soviel du willst«, sagte der Große Bruder. »Wie hast du das nur fertiggebracht, Tiny?«
»Das erkläre ich dir später.«
Timothy unterbrach schnell die Verbindung, denn es klingelte, und der Bildschirm des Communicators zeigte an, daß Doktor Pike vor der Tür stand.
Pike fand, daß Timothy nun gesund sei und wieder arbeiten dürfte. »Genug gefaulenzt«, sagte er, »zumal ich jetzt weiß, daß es sich nur um eine zwar unangenehme, aber absolut harmlose Abart des Schnupfenvirus handelt. Ein merkwürdiges Virus allerdings –« Pike schwieg verlegen. »Es scheint so, als ob das einzige Mittel, mit dem man ihm beikommen kann, tatsächlich Whisky ist.«
Sie lachten laut und lange. Timothy spendierte einen 1998er »Hundred Pipers« zur Feier des Tages.
»Übrigens«, sagte Pike, »ich wollte es Ihnen gestern schon sagen, Sie hatten mich doch nach Ebenazer Boone gefragt. Er soll eine Privatklinik in Kentucky haben, Boonesburg bei Southwark.«
»Er hatte«, berichtigte Timothy. »Vor einer Stunde wurde es in den Nachrichten gebracht. Durch ein technisches Versagen hat sich bei einem Luftmanöver über Süd-Kentucky eine Nihilationsbombe zu früh ausgeklinkt und Boonesburg mit Mann und Maus vernichtet.«
Pike blickte nachdenklich in sein Glas. »Zufälle gibt es«, sagte er dann kopfschüttelnd.
»Ja«, antwortete Timothy. »Das dachte ich auch, als ich es hörte.«
Ein Freundesdienst
1.
Timothy starrte auf seine rechte Hand. Er neigte den Kopf bis zur Schulter und rieb das Ohrläppchen an dem weichen, nachtblauen Stoff des Anzugs. Die vorgestülpte Unterlippe
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