Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
Vom Netzwerk:
würde bestimmt gleich wieder zu schneien anfangen.
    Doch darauf legte ich gar keinen Wert mehr. Wir hatten die Zivilisation weit hinter uns zurückgelassen und befanden uns im Land der skelettierten Bäume, zugefrorenen Tümpel und weißen, brachliegenden Felder. An einem Ort, wo so manches passieren konnte, ohne dass die Öffentlichkeit Notiz davon nahm. Geeignet als Schauplatz für das letzte Aufbegehren einer verzweifelten Frau.
    Die böse Tessa erwachte.
    «Wir sind da», sagte ich.
    Und Detective D.D. Warren – gnade ihr Gott – hielt an.
    «Steigen Sie aus», sagte sie barsch.
    Ich lächelte. Ich konnte nicht anders. Ich schaute ihr in die Augen und sagte: «Darauf habe ich schon den ganzen Tag gewartet.»

[zur Inhaltsübersicht]
    29. Kapitel
    «Ich will nicht, dass sie mit in den Wald geht», beschwerte sich D.D. zehn Minuten später bei Bobby. «Sie hat uns hierhergeführt und damit ihren Job erledigt. Jetzt sind wir dran.»
    «Die Hundeführer möchten, dass sie ihnen hilft», erwiderte Bobby. «Es ist windstill, das heißt, die Hunde haben es schwer, den Duftkegel zu finden.»
    D.D. starrte ihn mit ausdrucksloser Miene an.
    Bobby legte seine Hände zu einem Dreieck aneinander und erklärte: «Der Duft strahlt vom Zielobjekt kegelförmig aus. Damit der Hund Witterung aufnehmen kann, muss ein Wind gehen, der den Kegel vor sich hertreibt. Wenn nicht, kann es sein, dass ein Hund keine zwei Meter vom Ziel entfernt ist und es trotzdem nicht wahrnimmt.»
    «Woher weißt du das?», wunderte sich D.D.
    «Von Nelson und Cassondra. Sie machen sich Sorgen wegen des Wetters. Das offene Gelände erschwert die ganze Sache noch.»
    «Warum?»
    «Düfte konzentrieren sich, wenn sie mit der bewegten Luft auf Widerstände treffen, auf einen Zaun etwa oder eine Buschreihe. Aber davon ist hier weit und breit nichts zu sehen.»
    Bobby deutete mit der Hand in die Runde. D.D. seufzte schwer.
    Tessa Leoni hatte sie in eine der letzten Einöden von Massachusetts geführt, zu einem Landstrich, der aus Wäldern und Feldern bestand. Nach den Schneefällen von Sonntagnacht sah man nichts als weiße Weiten, gänzlich ohne Fuß- oder Reifenspuren, befleckt nur von einigen dunklen kahlen Bäumen und schütteren Büschen.
    Dass sie bis hierher hatten fahren können, war schon Glückssache gewesen, und ob sie wieder herausfinden würden, fraglich. Schneeschuhe wären jetzt nicht schlecht, dachte D.D., ein paar freie Tage noch besser.
    «Die Hunde werden im tiefen Schnee schnell ermüden», meinte Bobby. «Damit sie nicht allzu lange suchen müssen, sollte uns Tessa so nah wie möglich ans Ziel bringen.»
    «Es würde reichen, wenn sie uns die Richtung zeigt», sagte D.D.
    Bobby verdrehte die Augen. «Sie ist gefesselt und wird kaum weglaufen, schon gar nicht durch fünfzehn Zentimeter dicken Pulverschnee.»
    «Sie hat keine Jacke.»
    «Irgendjemand wird ihr eine ausleihen können.»
    «Sie spielt mit uns» warnte D.D.
    «Ich weiß.»
    «Ist dir eigentlich aufgefallen, dass sie auf keine unserer Fragen geantwortet hat?»
    «Ja.»
    «Stattdessen versucht sie, uns auszuhorchen.»
    «Auch das ist mir aufgefallen.»
    «Hast du gehört, wie sie mit dem Typen umgesprungen ist, der die Aufseherin angefallen hat? Sie hat ihm eine Klinge in den Oberschenkel gestoßen und in der Wunde herumgedreht. Zweimal. Das war nicht professionell, sondern Sadismus pur.»
    «Sie ist … überreizt», entschuldigte sie Bobby. «Verständlich, wenn man bedenkt, was sie in den vergangenen beiden Tagen durchgemacht hat.»
    «Umso weniger gefällt mir, dass wir hier nach ihrer Pfeife tanzen», erwiderte D.D.
    «Vielleicht solltest du im Wagen bleiben», schlug Bobby vor. «Wäre besser …»
    D.D. steckte die Hände unter die Achseln, um nicht wild um sich zu schlagen. Dann seufzte sie und massierte sich die Stirn. Sie hatte letzte Nacht kaum geschlafen und am Morgen nichts gegessen. Kurzum, sie war schon vor Tessas Angebot, sie zum Leichnam ihrer Tochter zu fahren, übermüdet und schlecht gelaunt gewesen.
    Der Ausflug passte ihr ganz und gar nicht. Sie hatte keine Lust, durch den Schnee zu stapfen, um irgendwo unter einem knochenhart gefrorenen Erdhügel die Überreste einer Sechsjährigen freizubuddeln. Würde sie aussehen, als schliefe sie? Eingewickelt in ihrem pinkfarbenen Wintermantel, die Lieblingspuppe im Arm?
    Oder wären Einschusslöcher mit verkrustetem Blut als Zeugnis eines letzten Augenblicks der Gewalt an ihr zu sehen?
    D.D. war ein Profi, der von

Weitere Kostenlose Bücher