Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
mal gelesen, gibt's einen Spezialisten, der Lider verpflanzen kann. Ich glaube in England.«
»Daran denke ich jetzt noch gar nicht, Paul.«
»Sie sollten öfter eine Pause machen und die Hände vor die Augen legen. Die Strahlenreflektion des Wassers ist mörderisch.« Er blickte zur Sonne und schätzte an ihrem Stand die Zeit. »Ich würde sagen: Es ist gegen vier. Wie verbringen wir die Nacht?«
»Wir sollten abwechselnd Wache halten. Jeder zwei Stunden. Vier Stunden Schlaf – das ist was wert.«
»Einverstanden!«
Sie ruderten wieder, als die Dämmerung über den Horizont kroch. Es war immer wieder faszinierend, den Abend aus dem Meer aufsteigen zu sehen. Er kam nicht vom Himmel, wie man annehmen sollte, sondern dunstete aus dem Wasser – ein ganz neues Bild aus der Perspektive eines treibenden Holzes zwischen Himmel und Meer, zwischen zwei Unendlichkeiten.
Es begann leise zu regnen, fadenfein, nicht wie aus Eimern, was sie zuerst befürchtet hatten. Das Meer wurde nicht unruhig, es kräuselte sich nur, als bekomme es eine Gänsehaut, und schaukelte das Boot in einem sanften, einschläfernden Rhythmus.
»Irgend jemand hält den Daumen davor«, sagte Shirley. »So ein Regen ist selten. Bäcker, gestehen Sie: Sie haben Kontakt zu einem Schutzengel!«
Das Boot schlingerte jetzt etwas stärker, aber es war stabil, vorzüglich ausbalanciert und ritt auf den Wellen, als sei die Flucht vor dem Tod nichts als ein herrlicher Spaß.
Das Meer färbte sich violett, der Himmel löste sich in grellfarbene Streifen auf … und da tauchten sie zum erstenmal im Dämmerlicht auf, umkreisten den Einbaum und schossen ihm voraus … drei, vier, nach wenigen Minuten sechs dreieckige Rückenflossen.
Haie!
»Unser Begleitkommando ist endlich da!« sagte Shirley rauh. »Ich habe mich schon gewundert. Von jetzt an sind wir nicht mehr allein … diese Teufel werden immer um uns sein.«
Shirley sollte recht behalten. Die Haie blieben in der Nähe des Bootes, umkreisten es und wurden zu treuen Begleitern. Als eine der Rückenflossen fast in Reichweite vorbeischoß, griff Bäcker nach seinem Bambusspeer und wollte zustechen. Shirley konnte es im letzten Augenblick verhindern. Er schlug Bäckers Arm in die Höhe.
»Um Himmels willen – nein!« schrie er. »Bloß das nicht!«
»Ich hasse sie!« schrie Bäcker zurück. »Ich werde sie töten, wo ich sie treffe!«
»Aber nicht hier, Werner! Ein Tropfen Blut im Wasser, und das Meer kocht! Der Geruch bleibt an uns. Wollen Sie eine ganze Haifischarmee hinter sich herziehen? Sie treffen einen oder zwei, und zehn kommen zum Begräbnis! So stabil ist unser Einbaum nun auch wieder nicht, daß ihn zehn Haie nicht umwerfen könnten. Am besten ist, man beachtet sie gar nicht. Anne, werfen Sie keine Abfälle über Bord.«
Am Abend wurde es nötig, einen wichtigen Teil menschlichen Schamgefühls abzulegen. Zum erstenmal waren die drei Menschen auf engstem Raum zusammen ohne die Möglichkeit, auch nur einen einzigen Schritt Distanz zwischen sich legen zu können. Aber den Körpern war das gleichgültig … die Därme arbeiteten, und die Blasen speicherten Urin. Man mußte es loswerden.
Bäcker und Shirley drehten Anne den Rücken zu, als sie sich über die Bordwand erleichterte. Dann war Bäcker an der Reihe und setzte sich auf die Bootskante. »Halten Sie Balance, Paul!« rief er dabei.
»Warten Sie einen Moment, Werner.« Shirley zog gleichfalls seine Hose runter. »Ich hänge mich zur anderen Seite über, dann wird's zweistimmig.« Er lachte und hielt sich am Mast fest, während sein blankes Gesäß fast die Meeresfläche berührte. »Wissen Sie, daß ich in Papeete in einem Gesangverein war? Erster Baß. Und sagen Sie bloß nichts mehr gegen unser Boot! Ein Luxusding ist es. Nicht einmal auf der ›Queen Elizabeth‹ wird einem wie hier der Hintern abgespült! Welch ein Betrug an den Haien. Das fressen sie bestimmt nicht!«
Dann war die Nacht da, licht, sternenklar mit einem Silbermond, kühl und ruhig. Anne schlief als erste, Bäcker hatte die Wache. Aber Shirley, der im Sitzen schlafen mußte und den Kopf gegen den Mast gelehnt hatte, konnte die Augen nicht zumachen.
Das gewölbte Meer, der Horizont, der rund um ihn herum lag und den Himmel abteilte, als läge er wie eine Glocke über der See, ließen ihn nicht schlafen.
»Werner, wir haben an eins nicht gedacht«, sagte er.
»An was?«
»An das Salzwasser. Ich kann das Salz schon von meinem Gesicht kratzen. In vier Tagen sehen
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