Wer viel fragt
wie das Essen ist, das einen erwartet.
Das Essen war nicht gut, aber
zumindest gab es nicht viel davon. Ich nahm noch einen Kaffee und
belauschte die Gespräche in meiner Umgebung, so gut ich konnte.
Dann kamen ein paar Mädels
zu mir, um sich mit mir anzufreunden. Wir unterhielten uns ganze zwanzig
Minuten lang darüber, wie schwierig unsere Kurse waren. Ich stach
alle aus.
Der Schwesternberuf ist
wirklich eine harte Sache für einen ›alten Knaben‹. Sie
waren sehr mitfühlend und ein wenig überrascht, als ich um
Viertel vor zwei schließlich abzischte.
7
Um vierzehn Uhr fünf
fuhr ich an Haus Nummer 413 auf der Fünfzigsten Straße Ost vor.
Ein rötlichbraunes Haus mit rötlichbraunem Putz. Ein kleiner,
üppig bepflanzter Vorgarten.
Eine Auffahrt führte von
der Fünfzigsten Straße auf der linken Seite hinter das Haus,
und rechts davon verlief eine kleine Gasse.
Ich hatte die Faust schon
gehoben, um anzuklopfen, als die Tür geöffnet wurde.
»Kommen Sie herein«,
sagte eine schicke, weißhaarige Dame mit einer gelben Nelke im Haar.
Florence Forebush.
Ich trat ein und wurde in
einen Raum geführt, den man früher als Salon bezeichnet hätte.
Er war plüschig, viktorianisch, vollgestellt mit braunen Polstermöbeln,
gekrönt von weißen Spitzendeckchen. Zwei Sessel und eine Couch
standen steif vor einem großen Marmorkamin, dessen Sims mit Fotos
überladen war. Auf einigen davon konnte ich jemanden erkennen.
Dreimal Estes Graham in verschiedenen Lebensaltern. Neben ihm eine Frau.
Das Bild und der Rahmen wirkten alt. Das mußte Irene Olian Graham
sein. Neben ihr die uniformierte Gestalt von Leander Crystal. Und am Ende
der Reihe das vertrauteste Gesicht. Das meiner Klientin.
Ich entschuldigte mich dafür,
daß ich zu spät kam.
»Es ist noch ein wenig
früh für den Tee, Mr. Samson«, sagte Mrs. Forebush,
nachdem wir in den beiden Sesseln Platz genommen hatten und uns - getrennt
durch einen Couchtisch mit Schieferplatte - gegenübersaßen.
Ihre korrekten Umgangsformen waren nicht recht vereinbar mit dem kleinen
Fauxpas einer gezielten Auslassung auf dem Kaminsims: kein Bild von Fleur.
»Sie müssen mir
etwas auf die Sprünge helfen. Was war es noch, das Sie wissen
wollten? Etwas über Estes?«
»Ganz richtig, Mrs.
Forebush. Ich versuche, etwas über Estes Graham und seine Familie in
Erfahrung zu bringen.«
»Für die Zeitung,
sagten Sie, wenn ich mich nicht täusche?
Über Estes' letzte
Jahre?«
Wozu hätte sie noch
meiner Hilfe bedurft? Sie hatte alles wiederholt, was ich ihr gesagt
hatte. Mir drängte sich das Gefühl auf, daß ich reingelegt
wurde, statt jemanden reinzulegen. Aber vielleicht war ich nur
empfindlich.
»Ja, ich hoffe doch.«
Sie musterte mich fragend.
»Ich denke, Sie werden es mir nicht übelnehmen, wenn ich es
einmal so direkt sage, aber Sie wirken ein wenig zu alt, um nicht genau zu
wissen, was Sie tun.«
Ich fand mich wieder auf die
Probe gestellt. »Ich hoffe, daß es für Sie kein Problem
ist. Ich weiß ja bisher nur, daß Sie Estes Graham in seinen späteren
Jahren gekannt haben.«
Sie zuckte die Achseln.
»Ach, ich bin ganz froh, daß ich über Estes reden kann.
Und nichts, was ich sagen kann, wird ihm jetzt noch zu schaffen machen.«
Gab sie mir da tatsächlich
zu verstehen, daß sie mir die ganze Geschichte nicht abnahm?
»Ich habe für
Estes Graham von meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag an bis zu
seinem Todestag gearbeitet. Und ich habe miterlebt, wie dieser Mann Dinge
durchgemacht hat, die für ein ganzes Dutzend Geringere zuviel gewesen
wären.« Das Licht schien jetzt aus ihren Augen und nicht mehr
vom Fenster zu kommen. Sie war wirklich froh, über Estes Graham reden
zu können.
»Er hat eine gewisse
Irene Olian geheiratet.«
»Ja. Die Hochzeit war
1916. Sie war das stillste, engelhafteste Mädchen, das Sie sich
vorstellen können. Er betete sie an. Er wäre beinahe selbst
gestorben, als er sie 1937 verlor.«
»Sie hatten vier
Kinder?«
»Drei Jungen, die im
Krieg gefallen sind, und ein Mädchen, Fleur. Junger Mann, soweit es
mich betrifft, gibt es mehr über Estes Graham zu erzählen als
jemals wieder über einen anderen Mann. Welche Möglichkeiten hat
ein echter Mann heutzutage noch? Aber in seinen letzten Jahren wurde alles
anders. Warum also wollen Sie etwas darüber hören?« Sie
blickte mich direkt an. Ich hielt
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